Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
hinstelle und er heißhungrig über den mit Schinken umhüllten Schweinespieß herfalle, so sei er doch bemüht, manierlich zu essen und die Mahlzeit mit dem gebührenden Respekt zu zerlegen. Elsa solle immer darauf achten, wie ein Mann esse, denn – Urslina sage es so leise in ihren Milchshake hinein, dass Elsa sehr die Ohren spitzen musste – die meisten Männer liebten genauso wie sie äßen. Bei Piotr sei es jedenfalls so. Elsa hatte Anbar noch nicht oft essen sehen und schon gar nicht mit Heißhunger, aber falls Urslinas Theorie stimmte, so musste es seinen Lieblingsgerichten sehr gut ergehen. Vielleicht war es ja übertrieben, von einem Gleichklang der Seelen zu sprechen. Vielleicht waren sie und Anbar einfach nur dafür geschaffen, miteinander zu essen und darüber alles andere zu vergessen.
Diese Piotr-Sache fiel Elsa aber erst viel später ein, in einem ruhigen Moment. Weil es ein ruhiger Moment war, fragte sie sich auch, ob die Art und Weise, wie sie selbst Fischklöße in sich hineinstopfte und danach ihre Finger ableckte, für oder gegen ihre Liebesqualitäten sprach. Um unerfreulichen Schlussfolgerungen aus dem Weg zu gehen, vergaß sie Urslinas Theorie ganz schnell wieder. Schließlich kam sie sich gerade vor wie zur Liebe geboren und es wäre schade gewesen, diese überaus angenehme Selbsteinschätzung ihren Fischkloß-Betrachtungen zu opfern. Lieber rankte sie sich sinnlich und elfengleich um ihre persönliche antolianische Offenbarung und kam sich ebenbürtig vor.
Unterdessen wanderte das hellgrüne Licht, das anfangs Elsas Fußzehen bedeckt hatte, langsam und unaufhaltsam bis zu ihrem Bauchnabel hinauf. Dann auf einmal verschwand es, als hätte jemand eine Lampe ausgeknipst, weil aus dem späten Morgen Nachmittag geworden war und die Sonne, unterwegs nach Westen, aufgehört hatte, ihre Strahlen durch die Ritzen des Gemäuers zu schicken. Fast im gleichen Moment fuhr seine Hand über ihren Bauch und blieb dort liegen. Obwohl sie das Thema Nahrungsaufnahme so rigoros aus ihren Gedanken verbannt hatte, stellte er fest:
„Du hast Hunger.“
„Nein.“
„Doch. Dein Magen knurrt.“
„Ich kann noch genug essen, wenn Alibi Nummer Vier abgelaufen ist.“
„Du wirst wohl ein paar Minuten erübrigen können, um dich satt zu essen.“
„Hier gibt es sowieso nur Dauerfutter, das nicht schmeckt“, erwiderte sie. „Das hat Legard gesagt. Wobei er meinte, dass es mir schmecken könnte, weil ich ja nichts Gutes gewohnt bin.“
„Ich weiß, wie niedrig deine Ansprüche sind. Du wirst es verschlingen.“
„Wie überheblich ihr immer seid. Vielleicht schmecken mir unaufgeklärte Würstchen und Brotas viel besser als antolianisches Dauerfutter.“
„Wir werden sehen“, sagte er. „Wir nehmen es am besten mit zum See.“
„Zum See?“
„Ja, da ist das Dauerwasser. Oder möchtest du auch nichts trinken, bis Alibi Nummer Vier abgelaufen ist?“
Jetzt, da er Wasser erwähnte, merkte sie, wie durstig sie war. Es half nichts, sie würde sich wieder in ihr Kleid zwängen und mit Anbar einen Spaziergang machen müssen. Es gab Zeiten, da hätte sie für so einen Spaziergang alles gegeben. Jetzt war dieses Vorhaben mit Verlusten verbunden.
„Wie lange geht ein Tag?“, fragte sie, als er ihr dabei behilflich war, die Haken und Ösen am Rücken ihres Kleides wieder ihrer eigentlichen Bestimmung zuzuführen. „Bis heute Abend, bis Mitternacht oder bis morgen?“
„Bis morgen, hoffe ich. Legard wird nur früher auftauchen, wenn sich eine Ausnahmekatastrophe anbahnt.“
„Eine, die schlimmer ist als die täglichen Katastrophen?“
„Ja, genau so eine.“
„Ist denn gar kein Land in Sicht?“
„Nein. Die Ganduup halten den Teller schräg und alles rutscht auf den Rand zu. Eine Welt nach der anderen verabschiedet sich ins Bodenlose. Noch ist keine zerstört, aber sie fallen und niemand kann ihren Fall aufhalten oder abfangen. Wir sind schon froh, wenn wir uns selbst auf dem Teller halten können.“
Elsa musste sofort an Istland denken und hoffte, dass ihre Welt weit vom Tellerrand entfernt wäre. Ihr Schweigen veranlasste Anbar, die letzten Haken und Ösen zu vernachlässigen. Stattdessen legte er die Arme um sie, zog sie eng an sich und drückte sein Gesicht in ihr Haar.
„Das ist mir jetzt so rausgerutscht, ich wollte dich nicht betrüben. Es wäre sowieso besser, wenn du nicht so gut Bescheid weißt. Andererseits bin ich versucht, dir mein Herz auszuschütten. Dazu hat man sich ja
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