Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
ist ein Angeber“, sagte Anbar. „Wenn ich so überlegen im Kopfverlust wäre wie er, dann würde ich es nicht so raushängen lassen.“
Elsas aufgewühlter Zustand erlaubte es kaum, Romers und Anbars Fehde besonders lustig zu finden, sie tat es aber doch, ein bisschen jedenfalls.
„Wenn du deine furchtbar wichtigen Dinge mit mir geklärt hast“, sagte sie, „kann ich mir dann Hoffnungen machen, dass du die Gelegenheit nutzt, die sich dir bietet?“
„Ja, das kannst du“, sagte er und stand auf.
Er hielt ihr die Hand hin, aber sie verstand es nicht als galante Höflichkeit, sondern als wortlose Aufforderung, ebenfalls aufzustehen und mit ihm zu kommen. Sie tat es und bekam an seiner Hand so eine Art Ruinenführung. Hätte sie nicht ganz andere Dinge im Sinn gehabt, wäre sie beeindruckt gewesen von den schattigen Gängen und Abgründen, die allesamt von einem grünen Licht erfüllt waren, weil jede Lücke, zu der das Sonnenlicht hereinkam, von Pflanzen verstopft war.
„Wenn du dich hier hinunterfallen lässt, führt ein Gang zu einem Durchlass in der Felswand, die du von oben gesehen hast“, erklärte er ihr am Rand eines tiefen Lochs. Dann ging es weiter in einen Gang mit mehreren Abzweigungen. „Das hier ist eine Sackgasse. Der andere Weg führt in einen Raum mit einem zugewachsenen Fenster. Wenn du sehr klein bist und fliegst, kommst du hindurch.“
Er wählte mit ihr einen dritten Durchgang und sie gelangten in einen Raum, dessen Inneres Elsa staunen ließ. Es musste der Ort sein, an dem sie im Winter von Segerte verarztet worden war und wo Romer ihr sein Herz ausgeschüttet hatte. Doch er sah völlig anders aus. Hoch oben gab es ein Loch, das mal ein Fenster gewesen sein musste. Jemand hatte sich die Mühe gemacht, dort ein ganzes Meer von blauen und rosafarbenen Blumen anzupflanzen. Sie quollen förmlich aus dem Loch ins Innere des Raums und wuchsen auch aus zwei Rissen im Gemäuer unterhalb des Fensters. Der Gärtner hatte schon lange nicht mehr eingegriffen, denn dort kämpften viele Pflanzen um das grüngelbe Licht, das vielfältige Schatten auf alle Wände warf. Elsa war sich sicher, dass in diesem Raum im Winter keine Bücher gewesen waren, jetzt aber standen sie meterweise und glänzend in den Regalen. Es gab auch einen Schreibtisch mit allerlei Schreibutensilien darauf, Aktenmappen und Kästchen und Dosen, allesamt sehr schön gearbeitet, aber von einer dicken Schicht Blütenstaub bedeckt. Ebenso wie Elsas Krankenlager, das jetzt von heller Bettwäsche nur so überlief, ganz anders als im Winter, als sie mit grauen Decken vorlieb genommen hatte und mit Kissen, die ganz bestimmt nicht mit kleinen grünen Blättern bestickt gewesen waren.
„Mein Vater richtet sich dieses Zimmer in jedem Frühling als Arbeitszimmer her“, erklärte Anbar, „und meine Mutter sorgt dafür, dass sie es auch gemütlich findet. Aber so wie es aussieht, waren sie schon lange nicht mehr hier.“
Elsa stellte sich vor, wie zwei Menschen, die alle erdenklichen Freiheiten genossen und keine Feinde zu fürchten hatten, hier ihren Frühling zubrachten. Sie waren zu beneiden.
„Warum nicht?“
„Meine Mutter hat vor einigen Monaten beschlossen, die Hochwelten nicht mehr zu verlassen, wegen der unruhigen Zeiten. Und mein Vater scheint wenig Lust zu haben, hier zu arbeiten, wenn keine Aussicht besteht, dabei von meiner Mutter gestört zu werden. Was dich aber mehr interessieren sollte als das, ist, dass es aus diesem Zimmer nur zwei Auswege gibt, wenn der Eingang blockiert ist. Das Fenster da oben“, er zeigte auf die blauen und rosafarbenen Blumen, „und diese Lücke in der Mauer.“
Er ging hinter den Schreibtisch und lenkte Elsas Blick auf einen Lichtklecks, den sie bisher übersehen hatte. Ein Spatz oder eine Maus hätten bequem durch das staubige Loch gepasst, dahinter war ein daumengroßes Stück blauer Himmel zu sehen.
„Es wäre mir lieb“, sagte er, „wenn du keine Sekunde zögerst, sobald sich unerwünschter Besuch ankündigt. Nicht überlegen, nicht umdrehen, sondern sofort verschwinden - geht das?“
„Ich kann mir auch ein Tor machen und es hinter mir wieder schließen.“
Seine gerade so ernste Miene hellte sich auf.
„Sieh mal an“, sagte er, „das erklärt so einiges! Wie kannst du schneller von der Bildfläche verschwinden? Durch ein Tor oder als kleines Tier?“
„Als kleines Tier. Auf ein Tor muss ich mich konzentrieren.“
„Dann wäre es gut, wenn du zuerst ein Tier wirst und
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