Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
Universums überhaupt gab. Elsa erinnerte sich, Anbar danach gefragt zu haben. Irgendwann zwischen Vogelgezwitscher und grünem Sonnenschein in Wenlache hatte sie wissen wollen, was er denn vom allmächtigen Schöpfer halte und Anbar hatte geantwortet, der sei ihm egal.
„Ist das alles?“, hatte sie gefragt.
„Ja“, sagte er. Sie fand aber, dass es mehr Worte brauchte, um den Schöpfer als Unwichtigkeit vom Tisch zu wischen und so bequemte er sich dann doch noch zu einer Erklärung. Er sagte, ein allmächtiger Gott, wenn es ihn gäbe, wäre allen Antolianern weit überlegen. Er wäre vollkommen selbstlos, uneitel und zufrieden mit allen Menschen, die keinen allzu schlimmen Mist bauen. Ein solcher Gott würde keinen Wert darauf legen, angebetet zu werden, und er würde auch nicht darauf bestehen, dass man an ihn glaubt. Wäre Gott aber doch eitel und egomanisch und entsprechend verrückt danach, dass man ihm huldigt, so wäre er nicht besser als Torben.
„Ich könnte ihn nicht anerkennen“, sagte Anbar, „und ich müsste ihn ärgern, indem ich seinen Machtanspruch ignoriere. Am Ende läuft alles auf das Gleiche hinaus: Ich tue das, was ich für richtig halte, mit oder ohne Gott.“
Mit oder ohne Gott. Die Worte hallten durch das Nichts, an dessen Stelle früher einmal Elsas Kopf gewesen war. Sie hatte leider kein Gefühl mehr dafür, was richtig war, wenn sie es überhaupt jemals gehabt hatte. Sie konnte sich nur mühsam von Stunde zu Stunde hangeln, ein gequälter Geist in zweifelhafter Mission.
Als die Nacht kam, eine Zeit, in der die Ganduup meist still verharrten, im bitteren Traum ihres Daseins verweilend, sehnte sich Elsa nach Schlaf. Doch der war nicht zu haben und so sah sie dem Mond zu, wie er aufging und wieder unterging, und erinnerte sich an einen Kinofilm, den sie einmal mit Urslina angesehen hatte. Darin lud Tildo Jahn eine schüchterne, aber sehr hübsche Blumenverkäuferin zu einer Fahrt in seinem Sportwagen ein. Sie fuhren und fuhren, bis es Nacht wurde und das Benzin alle war und der Wagen mitten auf der einsamen Landstraße stehen blieb. Sie stiegen aus, Tildo Jahn holte eine Flasche Wein und zwei Gläser aus dem Kofferraum, die beiden stießen miteinander an und tanzten zur Musik des Autoradios im Scheinwerferlicht auf der leeren Straße. Der Film gehörte bestimmt nicht zu Elsas Lieblingsfilmen und für Tildo Jahn hatte sie auch noch nie geschwärmt, doch die Szene war ihr in Erinnerung geblieben, weil das Licht so schön in den Augen des Mädchens geglitzert hatte. Einen guten Teil dieser Nacht verwendete Elsa darauf, sich zu wundern, wo das schöne Glitzern hingehen würde, wenn es keine Augen mehr gäbe.
Noch bevor es wieder hell wurde, kam eine Gruppe von Ganduup über das Meer, ohne Boote, sanft leuchtend, geisterhaft und still. Als sie Elsa erreichten und an ihr vorübergingen, schloss sie sich der Gruppe an. Eine Besprechung stand an, das entnahm Elsa den allgemeinen Gedanken, eine Art Kriegsrat, in dem es darum ging, dass Elsa Wesentliches erfuhr. Es war ein weiterer Schritt auf dem Weg, den Elsa eingeschlagen hatte, und es gab keinen Grund, diesen Schritt hinauszuzögern oder sich ihm zu verweigern.
Die Wellen des nächtlichen Meeres waren bewegter als noch am Tag und so vernahm Elsa ihr Rauschen, während sie sich durch die Festung bewegte, mühelos diesmal, einen angedeuteten Schritt nach dem anderen, bis sie die höchste Terrasse erreichte. Zum ersten Mal seit ihrer Verwandlung sah sie Holanda wieder und war überrascht. Denn auf dem Boden der Terrasse saß ein Kind mit gleißend hellen Augen. Es kniete dort, die Hände auf dem Schoß gefaltet und sah weder erwachsen noch nach einer Anführerin aus.
„Hallo!“, rief es Elsa fröhlich zu, als diese ins Freie trat.
Elsa war zu überrascht, um den Gruß zu erwidern. Sie suchte die andere Erscheinung, die sie von Holanda gewohnt war, fand sie aber nicht. Sie nahm an, dass diese andere Gestalt nur für das menschliche Auge gedacht war. Das Mädchen lächelte zufrieden, als sich die Terrasse mit Ganduup füllte. Insgesamt mochten es zwanzig sein, darunter drei oder vier Männer. Elsa hätte es genauer wissen können, doch in ihrem Zustand spielten Zahlen keine Rolle. Sie orientierte sich vielmehr an dem Gedankenmeer, das sie mit den anderen Ganduup verband, und was ihr da zuflog, beunruhigte sie sehr. Sie begann zu ahnen, worauf dieses Treffen hinauslief, doch in alter Menschengewohnheit wehrte sie das Wissen ab, das sich
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