Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
gelitten, geredet, gelästert, gelacht oder sich Sorgen gemacht. Während der Kriege hatten sie oft in einem Zelt geschlafen und eine hatte die andere geweckt, wenn sie schlechte Träume hatte. Auch Sinhine hatte schlechte Träume gehabt. Es gab so vieles, was sie im Schlaf verfolgt hatte. Gerade schwammen Elsas Ganduup-Gedanken gefährlich nahe an Sinhine heran, um sie zu suchen. Die alte Sinhine, die einmal ihre Freundin gewesen war. Doch alles, was sie fand, war schauderhaft menschlich. Elsa überkam eine Welle von unkörperlicher Übelkeit. Ihre Gedanken mussten ganz schnell den Rückzug antreten, damit kein Unglück passierte. Sie versuchte sich zu sammeln, indem sie Sinhine eine Frage mit ihrer blechernen Stimme stellte.
„Weißt du etwas über Hoppier?“
Sinhine schwieg. Sie schwieg lange und Elsa wartete.
„Was interessiert dich das?“, fragte Sinhine endlich.
„Warum soll es mich nicht interessieren? Er war mein Freund.“
„Tegga hat Unass ausgequetscht und natürlich hat Unass erzählt, was Tegga hören wollte. Aber wer weiß schon, ob das gestimmt hat.“
„Was genau hat er erzählt?“
„Dass er Hoppier nie etwas getan hat.“
„Lebt Unass noch?“
„Nein, natürlich nicht.“
„Und Kamark?“
„Der schon.“
Elsa merkte, wie Bewegung in ihr schwimmendes Denken kam. Etwas wie Freude.
„Schickst du ihn zu mir?“
„Warum?“
„Zum Üben. Ich muss lernen, Menschen am Leben zu lassen.“
„Dafür willst du meinen wertvollsten Weltengänger verheizen?“
„Die Welten gehen doch sowieso unter, oder?“
Sinhine starrte Elsa noch eine Weile an, abwägend, dann fast triumphierend.
„Dafür musst du erst mal durchs Tor kommen“, sagte sie. „Wäre ja nicht das erste Mal, dass du versagst.“
Sie gab ihren Ruderern einen Wink, woraufhin diese das Boot drehten und sich auf den Rückweg zur Küste machten. Den Blick von Elsa abgewandt, nahm Sinhine langsam im Boot Platz, ein störrischer Wille in biegsamer Gestalt. Sie wurde immer kleiner, als sich das Boot entfernte. Elsa verspürte Bedauern und eine merkwürdige Leere in ihren schwimmenden Gedanken. So schwierig und widerlich die Begegnung mit den Fleischlichen auch war, so hatte es doch auch etwas unvergleichlich Interessantes. Es lockte, es war gruselig, es erforderte viel Konzentration und alles in allem lenkten diese Gefühlsturbulenzen Elsa von ihren eigentlichen Problemen ab. Gerade fragte sie sich, ob sie überhaupt noch einen Plan hatte. Er flog in Einzelteilen vor ihr herum, die Ganduup kannten ihn vermutlich. Das war noch etwas, das die menschliche Gesellschaft auszeichnete. Ein Ganduup kannte die Gedanken eines anderen Ganduup. Er konnte darin herumschwimmen. Aber die Gedanken eines Menschen – die blieben verborgen. Nichts und niemand konnte wissen, was sich im Kopf dieser körperlichen Leute abspielte. Ein menschlicher Schädel war wie eine Mauer, die man nicht durchdringen konnte. Eine Mauer, die fremde Gedanken ausschloss, und die eigenen Gedanken einschloss. So steckten diese armen Geschöpfe tagein, tagaus im Gefängnis ihres Schädels und wenn sie versuchten, diesem Gefängnis zu entkommen, so erwies sich das als unendlich schwierig. Die verschiedensten Techniken, die die Menschen anwandten, um ihrem eingesperrten Ich ein bisschen frische Luft zu verschaffen, ließen sich unter einem Oberbegriff zusammenfassen, der da lautete: Liebe.
Elsa legte ihren geisterhaften Kopf schräg und ihre Haare, die keine mehr waren, doch genauso schillerten und schimmerten und flossen, fielen über ih re Schulter. Wenn alle Univers en aufhörten, wenn es keine festen Formen und Gefängnisse mehr gäbe, erübrigte sich die Liebe. Seelen mussten sich nicht mehr suchen und finden und dabei durch einen Dschungel aus weltlichen Hindernissen irren. Niemand wäre mehr verloren, sondern von Anfang an aufgehoben in einer anderen Form von Sein. Die Vernunft sagte Elsa, dass sie sich nur vom Gewesenen abwenden und weitergehen musste, um dem Glück in die Arme zu laufen und der Traurigkeit zu entkommen. Doch sie hatte den Verdacht, dass das Glück nur so richtig golden glänzte, wenn es die Traurigkeit berührt hatte. Das war eine von diesen komischen Ideen gewesen, die der Schöpfer in seine Welten hineingebastelt hatte. Ob er damit einverstanden war, dass die Ganduup die von ihm geschaffenen Grenzen für null und nichtig erklären wollten? Oder war das von Anfang an Teil des Plans gewesen? Falls es diesen geheimnisvollen Erfinder des
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