Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
äußerlichen Vorzüge eines Antolianers, sondern sah Anbar erschreckend ähnlich. Hätte er nicht braune Augen und braune Haare gehabt – Elsa hätte die beiden glatt verwechseln können. Hentiak begrüßte sie alle mit Namen und legte jedem andeutungsweise die Hand auf den Arm, was wie ein fremdländischer Gruß anmutete. Vielleicht war das so üblich in Antolia. Die Reihe kam auch an sie. Sanfte Berührung am Arm, sehr höfliches Kopfnicken.
„Elsa, nicht wahr? Ich bin Hentiak.“
Sie nickte nur, weil ihr nichts zu sagen einfiel.
„Es tut mir leid, dass ich keine guten Nachrichten bringe“, erklärte er, „der Rat hat sich wie erwartet für das Verfahren entschieden.“
„Das ist keine Überraschung“, sagte Sistra.
„Nein“, erwiderte er, „aber die Mehrheit hat sich mit der Entscheidung schwerer getan als erwartet. Sodass ich mir fast Hoffnungen gemacht habe.“
Elsa war irritiert. Nicht nur, dass hier ein halber Anbar mit ihr sprach, was verwirrend genug war, sondern es war auch noch ein höflicher, mitfühlender Antolianer, der betrübt zu sein schien, dass sie fliehen musste. Dabei kannte er sie gar nicht.
„Wie viel Zeit haben wir?“, fragte Sistra, die herangetreten war.
„Heute Abend wird der Vertrag unterschrieben“, sagte Hentiak. „Leider hat die Mehrheit darauf bestanden, dass Sommerhalt einer vertragstreuen Möwe unterstellt wird. Und dass sich keine anderen Möwen hier aufhalten.“
Sistra nahm es gefasst auf. Sie hatte damit gerechnet.
„Steht schon fest, wer es wird?“
„Vieles spricht für Espen Wolt, Derks Bruder. Aber das ist noch nicht alles. Die Möwen haben im Gegenzug verlangt, dass allen Mitgliedern von Parteien, die den Vertrag nicht ohne Einschränkung unterstützen, der Zugang zu Sommerhalt und anderen wichtigen Möwen-Stützpunkten verwehrt wird.“
„Das kann nicht wahr sein!“, rief Sistra. „Leimsel, Anbar, sie alle sollen von hier verschwinden? Das können sie doch nicht machen!“
„Nein, das können sie hoffentlich nicht. Anbar klagt auf Benachteiligung politischer Minderheiten und wird wahrscheinlich Recht bekommen. Dann muss der Vertrag umgeschrieben werden, was euch noch eine Verzögerung einbringt. Doch sie werden darauf bestehen, dass unsere Freiheiten eingeschränkt werden. Es dürfte nicht leicht werden, dir Informationen zukommen zu lassen, Sistra.“
„Was ist mit mir?“, fragte Amandis. Sie tauchte an Hentiaks Seite auf und hielt auf vertrauliche Weise seinen Arm fest.
„Anbar hofft, dass du bleiben kannst. Deine Anwesenheit hier wäre sehr nützlich, aber genau deswegen möchten es andere verhindern.“
„Sonst läuft alles wie geplant?“, fragte Sistra.
„Ja. Für die Minderheiten und ihre Anhänger gilt die Ausnahmeklausel.“
„Ist das die Klausel …“, begann Elsa und brach ab.
Statt eine Erklärung abzugeben, sagte Hentiak:
„Die verbündeten Möwen waren gegen die Ausnahmeklausel und wollten keinen Kompromiss. Sie zweifeln an unseren Beweggründen. Aber wir haben die Außengänger auf unserer Seite und die werden von den Hochwelten für den Krieg gebraucht, daher hat sich Torben nicht auf Diskussionen eingelassen. Er war uns hilfreich in diesem Punkt.“
„Mehr unfreiwillig“, sagte Sistra.
„Er ist gewissenhafter, als du denkst“, widersprach Hentiak höflich, aber mit Nachdruck. Dann wandte er sich an Elsa, um die gewünschte Erklärung zu liefern:
„Es ist die Klausel, die besagt, dass die politischen Minderheiten und ihre Gefolgschaft keine Raben ausliefern, sie aber töten müssen. Darauf muss jeder Außengänger und jeder Soldat, der auf Anbars Seite steht, einen Schwur ablegen. Mir liegt das nicht. Ehrlicher wäre es, den Vertrag erst gar nicht zu unterschreiben und sich aus dem Krieg herauszuhalten. So wie Sistra es macht, weil ihr die Möwen gar keine andere Wahl lassen. Aber unsere Streitkräfte werden eher der Mehrheit folgen als die Hochwelten unverteidigt zu lassen. Deswegen ist die Klausel der einzige Weg für Anbar, einen großen Teil der Streitkräfte auf seiner Seite zu behalten. Ich allerdings werde die Klausel nicht unterschreiben, weder sie noch den Vertrag. Ich kann nicht etwas schwören, was ich nicht einzuhalten gedenke. Ich würde dadurch zum Lügner.“
„Wie albern das ist!“, sagte Sistra. „Wir brauchen dich.“
„Ich weiß, dass mein Bruder die Wahrheit nicht über alles stellt“, sagte Hentiak ernst und keineswegs eingeschüchtert. „Aber das ist nicht antolianisch
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