Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)

Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)

Titel: Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Kammer
Vom Netzwerk:
war ihr der Zwischenraum vertraut, viel mehr als früher. Sie nahm die gefährlichen Löcher, die Spalten, die Gräben wahr, die sie früher nur dumpf erahnt und immer viel zu spät bemerkt hatte. Jetzt hatte sie ein klares Gefühl dafür. Sie spürte sie unter der schönen Oberfläche der Landschaft. Dass sie sich so sehr verbessert hatte, lag vermutlich an ihren Erinnerungen oder auch daran, dass sie von Unass einmal komplett zerlegt worden war. Ihr Gespür für das Unsichtbare war seither viel ausgeprägter.
    Jetzt konnte sie auch Einfluss auf den Zwischenraum nehmen. Zwar nicht so gut wie Nikodemia, aber für ein paar Gewächse, die auf ihr Betreiben hin aus dem Boden schossen, reichte es. Nie konnte sie vorhersagen oder sich aussuchen, was da vor ihren Augen entstand. Ob es von fester oder zerfließender Form wäre. Ob es ein dorniger Busch mit Beeren wurde oder eine glitschige Pflanze samt Pfütze. Sie konnte etwas bewirken und besaß doch keine Macht. Der Zwischenraum machte, was er wollte.
    „Du bist größenwahnsinnig“, sagte Nikodemia, da er ihren Gesichtsausdruck richtig deutete. „Vor ein paar Tagen hast du noch im Kopf eines Verrückten gesteckt.“
    „Das ist vorbei.“
    „Kann ich mir nicht vorstellen. Ich glaube, du tust nur so, als ob es vorbei wäre. Als ob nichts gewesen wäre. Kein Mensch steckt das einfach so weg.“
    „Ich bin ja auch kein Mensch.“
    Nikodemia verdrehte die Augen. Elsa hoffte, dass er sich täuschte. Sie wollte es weggesteckt haben und zwar komplett. Stattdessen wollte sie an schöne Dinge denken. Zum Beispiel an grüne Sofas und sanft kratzende Bartstoppeln.
    „Pass gut auf“, sagte Nikodemia. „Der Zwischenraum kann fies werden, wenn man etwas unter den Teppich kehrt. Du weißt, was ich meine?“
    Elsa sah ihn erschrocken an.
    „Du meinst, er zieht etwas Schreckliches aus dem Hut, wenn ich am wenigsten damit rechne?“
    „So oder ähnlich.“
    „Ich habe mal einen Friedhofsgärtner gesehen, der Schädel geputzt hat. Meinst du so was?“
    „Das ist harmlos.“
    „Ja, eigentlich war er auch ganz nett zu mir.“
    Dicke Regentropfen fielen plötzlich vom Himmel. Morawena wischte sich mit dem Ärmel das Gesicht ab. Sie wirkte nicht sehr verschlafen. Elsa vermutete, dass sie schon eine ganze Weile wach gelegen und ihnen zugehört hatte. Immerhin sah sie jetzt besser aus als vor der Pause, erholter und auch friedlicher gestimmt.
    „Wir gehen in den Wald“, sagte Nikodemia.
    Bevor Morawena fragen konnte, in welchen Wald sie denn gehen sollten, war er auch schon da. Dicke Bäume, dichtes Laub und von Regen aufgeweichte Erde. Es war finster im Inneren des Waldes. Wie an einem gewittrigen Tag oder spätabends im Sommer, wenn die Sonne schon untergegangen ist, aber noch ein wenig Licht zurückbleibt. Graues Zwielicht, in dem alles passieren kann.
    In diesem Fall passierte nicht viel, außer dass sich das Wasser seinen Weg bahnte. Immer mal wieder bekam Elsa eine Ladung ab, die sich hoch oben in den Blättern gesammelt hatte und dann plötzlich nach unten schoss. Manchmal regnete es auch so stark, dass das Blätterdach den Ansturm nicht abfangen konnte. Nach einer Zeit, die sich wie mehrere Stunden anfühlte, waren sie nass bis auf die Haut.
    „Wo bleibt die Unterkunft, von der du gesprochen hast?“, fragte Elsa, obwohl sie wusste, dass das eine blöde und überflüssige Frage war. Nikodemia tat sicher sein Bestes. Aber sie hatte die Frage schon dreimal heruntergeschluckt und beim vierten Mal rutschte sie einfach heraus.
    „Keine Ahnung“, antwortete er erwartungsgemäß. „Aber ich glaube, wir haben Fortschritte gemacht. Ich habe schon lange keine Möwen mehr gehört.“
    „Das stimmt“, sagte Morawena. „Ich auch nicht.“
    Da konnte Elsa nicht mithalten. Möwen hörte sie nur, wenn sie sich unmittelbar neben ihr bewegten.
    „Dann bleiben wir eine Weile in diesem Wald?“
    „Wenn wir etwas Trockenes finden, wo wir bleiben können.“
    Elsa konnte sich die schönsten trockenen Orte vorstellen, dazu etwas Warmes zu essen, eine weiche Decke zum Einwickeln, vielleicht sogar eine Matratze, um darauf zu schlafen. So träumte sie vor sich hin und versuchte, den grauen Flecken auszuweichen, die sich hier und da zwischen den Bäumen auftaten. Denn ihr war, als könne etwas Grausiges daraus hervorspringen, geisterhafte Angreifer, ein Abbild von Gaiuper womöglich. Wer sagte, dass sie keinen Spuk hervorrufen konnte? Bestimmt hatte Nikodemia recht. Etliche Alpträume

Weitere Kostenlose Bücher