Rabenschwarz
gedacht!« Herbie bemühte sich, diesem belanglosen Satz eine gehörige Portion Wichtigkeit zu verleihen. »Genau das habe ich mir gedacht! Wundert mich gar nicht.«
»Was faselst du da?«
Herbie war vor dem Spiegel angelangt und begann, sein nasses Haar mit einem Handtuch trocken zu reiben. »Und es klebte eine Marke zu Eins Zehn drauf?«
»Natürlich, was denn sonst? Was soll der Unsinn? Und was hantierst du da mit dem Hörer rum?«
»Ich ... ich verbinde gerade meinen Kopf. Eine böse Verletzung, Tantchen. Ich wünschte, du könntest mich sehen!«
Julius wartete geduldig ab, welcher Unsinn noch über Herbies Lippen sprudeln würde. Sein Gesicht war ausdruckslos.
»Verletzung?«
»Ja, damit muss man rechnen, wenn man sich auf so ein Himmelfahrtskommando begibt. Das stecke ich locker weg, keine Sorge.«
»Verletzung? Himmelfahrtskommando? Herbert, ich frage dich eindringlich: Ist dieser seltsame Ruprecht , oder wie auch immer diese Fantasiegestalt heißen soll, wieder in deiner Nähe? Du hast doch keinen Rückfall oder so was?« Ihre Stimme überschlug sich. Um sich der fortwährenden Exorzismusversuche seiner Tante und ihres Rattenschwanzes von Psychiatern zu entledigen, ließ Herbie sie seit Jahren in dem Glauben, er sei von seinen Visionen, für die jedermann Julius hielt, geheilt.
»Nein, nein, keine Bange, Tantchen, mit mir ist alles in Ordnung«, beeilte sich Herbie zu sagen. »Nur diese Beule schmerzt. Ich bin eine Böschung hinuntergestürzt, als ich diese Kerle beobachtet habe. Diese Verbrecher, weißt du?« Er grinste Julius unsicher an. »Auf einem Parkplatz. Es ging um viel Geld, so viel habe ich gesehen. Viel Geld und viele Hunde.«
»Mehrere Hunde? War Bärbelchen auch dabei?« Tante Hettis Stimme klang dünn und kraftlos.
»Nein, die Hunde selber waren nicht da. Wo denkst du hin? Das würde doch auffallen! Aber da waren diese Funksprüche. Die sind bestens organisiert. Eine Dognappermafia ist das!«
»Woher weißt du ...?«
»Würde mich nicht wundern, wenn die auch das Telefon abhören oder so was. Wir müssen vorsichtig sein, Tantchen!«
»Oh Gott!«, war alles, was seine schockierte Tante hervorbrachte. Er konnte förmlich sehen, wie sie entkräftet auf ihrem Chippendale-Telefonbänkchen zusammensank und den Hörer umklammert hielt.
»Ich hoffe, du hast nichts dagegen, dass ich noch etwas bleibe, Tante Hetti. Diese Kerle sind zu allem fähig! Irgendwelche Ausländer, so viel weiß ich bisher. Wenn ich noch mehr herausfinde, haben wir eine kleine Chance. Ansonsten bin ich der felsenfesten Überzeugung, dass sie mit deinem kleinen Hündchen kurzen Prozess machen, sobald das Lösegeld ...« Er ließ das Ende des Satzes bedeutungsschwanger in der Luft hängen. Es kam keine Antwort aus dem Hörer.
»Also bleibe ich. Fein! Du wirst es nicht bereuen. Wie gesagt: nicht zu viele Worte am Telefon!« Dann legte er ohne Abschiedsgruß den Hörer auf und sah Julius fassungslos vor Begeisterung an. »Sie hat’s geglaubt. Sie hat es tatsächlich gefressen.« Während er sich trocken rubbelte, nestelte Julius an seiner Weste herum und murmelte: Fragt sich nur, wie lange du den Schwindel aufrechterhalten kannst .
»Nur bis übermorgen. Bevor das Lösegeld fließt, habe ich den Täter.« Und mit einem freundschaftlichen Seitenblick auf seinen Begleiter verbesserte er sich: »Haben wir den Täter!«
* * *
Frau Stoffels hatte das Abendbrot des Pastors abgeräumt. Er hatte lediglich eine Scheibe Schwarzbrot mit selbst gemachter Leberwurst vom Bauern Sierbach gegessen, und selbst darüber hatte er gemault. Sie seufzte, als sie die Lebensmittel in den Kühlschrank zurückräumte. Nicht dass sie die ewigen Meckereien des Pastors nicht gewöhnt war. »Zwei Dinge währen wirklich ewig«, pflegte sie immer zu sagen. »Das ewige Leben und das ewige Genörgel vom Herrn Pastor.« Wenn er mal keinen Grund mehr zu klagen hatte, da war sie sicher, dann würde er in der Grube liegen.
Sie trank einen Likör. Selbst gemachter Holunderaufgesetzte von Dreeßens Matthes seiner Frau. Das blutrote Getränk verbreitete sofort eine wohlige Wärme in ihrer Brust.
Was war bloß mit dem Pastor los?
Pastor Rövenstrunck war nervös in den letzten Tagen. Sie wusste nicht so recht, woher das rühren konnte. Sie wurde das unbestimmte Gefühl nicht los, dass sein Stimmungstief auf irgendeine Weise mit dem Tod des alten Raben-Päul zusammenhängen könnte, denn gerade seit dem Tag, an dem der Alte den Pastor hatte
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