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Rabenschwarz

Rabenschwarz

Titel: Rabenschwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Kramp
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eine Gruppe von riesigen alten Buchen, die deutlich aus der Reihe ihrer Artgenossen hervorstachen, da sie über und über mit düsteren, monströsen Vogelnestern gespickt waren. Um sie herum flatterten Krähenvögel in einer Menge, wie keiner von beiden sie bisher je hatte beobachten können. »Saatkrähen«, kicherte Sybille Krechel. »Die größte Kolonie in Westdeutschland. Das sind die Schönecker Krohen. Warum sie so heißen, weiß keiner so genau. Schönecken liegt noch ungefähr sechs oder sieben Kilometer weit weg. Das sind etwa 450 Brutpaare da hinten. Die Burschen flattern den lieben langen Tag hier durch das Tal. Und am Abend, da suchen sie ihre Schlafplätze auf. Auf der Basilika und so.«
    Ihre Besucher staunten nicht schlecht, angesichts der jahrhundertealten Bäume, in denen sie jeweils bis zu dreißig Horste und mehr zählen konnten.
    »Jaja. ›Dahinten sind die dreckigen Viecher!‹, hatte Paul gesagt. ›Mach dein Fenster zu, und guck sie dir jeden Tag an, wie sie da draußen rumflattern. Dann weißt du immer, wo sie gerade sind, und brauchst keine Angst mehr zu haben, Billa.‹ Er nannte mich immer ›Billa‹.« Auf einmal verschleierten Tränen ihren Blick. »Schade, dass der Paul nicht mehr da ist. Er wird mir fehlen.«
    Sie tastete sich langsam an der Wand entlang zu ihrem Stuhl zurück. Sie wirkte jetzt älter als eben noch.
    »Ich komme auch aus Buchscheid«, sagte sie tonlos und drehte gedankenverloren den Plastikbeutel mit den Plätzchen wieder zu. Ihre knochigen Hände verkrampften sich dabei zitternd um den knisternden Kunststoff.
    »Ach, das haben wir noch gar nicht gewusst«, staunte Fritz, und Herbie fügte hinzu: »Das hat der gute alte Päul uns gar nicht erzählt.«
    Der gute alte Päul, dein Skatbruder und Saufkumpan. Hat er dir nicht das erste Bier deines Lebens spendiert?
    »Ich habe es ihm gegenüber auch nur einmal erwähnt. Ganz am Anfang, als er fragte, ob ich eine Idee hätte, warum denn diese Krähen immer zu mir kämen. Ich habe ihm dann die Geschichte von meinem Mann erzählt.«
    Jetzt wird uns die gute Frau etwas wirklich Wichtiges erzählen! Obacht! Bringt sie nicht aus der Reihe!   Julius’ Gesicht wurde mit einem Mal sehr ernst.
    Die beiden kamen näher. Sie bewegten sich langsam. Geradezu so, als könne eine unbedachte Bewegung, ein störendes Geräusch die alte Frau aus ihrer Erzählung in die Gegenwart zurückholen.
    »Mein Mann ist gestorben. Wir waren gerade mal drei Jahre verheiratet, und ich habe doch damals dieses Kind erwartet. Er war Feldschütz in Buchscheid. Er musste aufpassen, dass sich keiner auf den Feldern zu schaffen machte. Die Leute waren ja so arm. Ich habe manchmal gedacht, dass er zu streng mit ihnen ist, aber er nahm seinen Posten sehr, sehr ernst. Und eines Nachts, da ist er nicht aus dem Feld zurückgekommen. Das war nichts Ungewöhnliches. Das passierte öfters. Aber diesmal, da kam er nicht wieder bis zum Morgen. Und da habe ich den Leuten Bescheid gesagt, und wir sind los, um ihn zu suchen.« Ihre krächzende Stimme wurde dünner und dünner. »Und oben am Leeßenpesch, da haben sie ihn gefunden. In die Luft gesprengt. Eine Bombe aus dem Krieg oder so. Keiner hat je herausgefunden, ob es ein Unfall war ... oder vielleicht ein Racheakt oder so was. Er hat vielen wehtun müssen damals. Als ich dann den Berg raufkam, da waren sie alle da. Männer und Jungens, alles, was auf den Beinen war, hatte sich versammelt, und sie hatten Mühe, die Raben wegzuscheuchen.«
    »Die Raben?«, fragte Herbie tonlos.
    Sie nickte bitter. »Die Rabenkrähen saßen auf seiner Leiche und auf der vom Rex. Sie pickten und rupften ... Waren kaum zu verjagen, die Viecher.«
    Die Tüte mit den Eierplätzchen platzte, und die runden Kekse kullerten zu Boden. Fritz und Herbie beeilten sich, sie aufzuheben.
    Frau Krechel entspannte sich. »Na ja, ist lange her.« Auf ihrem alten Krötengesicht zeigte sich wieder der Anflug eines Lächelns. »Alles ist lange, lange her. Ich bin dann nach Frankfurt gegangen, zu einer Cousine. In Buchscheid konnte ich nicht bleiben. Es war ja kein Geld mehr da, und das Leben einer Witwe allein mit einem kleinen Kind war nicht leicht, damals auf dem Dorf. Die Edith ist dann gestorben, als sie fünfzehn war. Von einem Auto überfahren, mitten in der Stadt. Da bin ich dann wieder weggezogen. Nach Euskirchen.« Sie erhob sich und deutete zum Fenster. »Jetzt ziehe ich nur noch einmal um.« Sie kicherte und formte mit ihren knotigen Händen

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