Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)
sind schön.
13 Nein, sie war nicht wieder aufgetaucht. Ja, sie war immer noch verschwunden. Ein Anruf bei Peter Hansen in der Vermisstenstelle brachte das rasch zutage. Gestern Vormittag war der Ehemann noch einmal bei ihm im Büro gewesen, sie hatten eine Akte angelegt, die Maschinerie begann zu laufen. Und nun kam sie erst recht in Gang.
»Ist sie die Mörderin?«, fragte Franza, als sie ins Büro gekommen waren und zuerst einmal Kaffee aufgesetzt hatten. »Oder ein weiteres Opfer?«
»Wir wollen beides nicht hoffen«, sagte Felix und schob sich den letzten Lebkuchen in den Mund. Er nahm den Telefonhörer ab und rief Hansen an, und dann hatten sie es zwar nicht schwarz auf weiß, aber immerhin von Ohr zu Ohr, was genauso schwer wog.
»Morgen«, sagte Franza, nahm ihre Tasche und stand auf, »morgen sehen wir weiter. Heute können wir ohnehin nichts mehr tun.«
Sie nahm das Foto in die Hand, das Hansen noch rasch herüber gefaxt hatte, betrachtete das schmale Gesicht und erinnerte sich, dass sie als Jugendliche gern rote Haare gehabt hätte. Nicht, weil sie die damals so attraktiv gefunden hätte, so schön. Nein. Weil sie anders gewesen wären. Herausstechend aus der Masse. Ein Kontrapunkt.
Das andere Foto. Gertrud. Auch attraktiv. Aber anders. Zurückhaltender.
»Ab wann spürt man es«, fragte Franza, »was glaubst du, Felix, ab wann spürt man, dass man gehen muss«, und schaute in Gertruds Gesicht, in die braunen Augen.
Er legte ihr die Hand auf die Schulter, dachte nach, er wusste, das waren ihre Fragen, immer wieder musste sie sie stellen. »Ich weiß es nicht«, sagte er, »genauso wenig wie du. Man kann es ja nicht üben.«
Nein, man konnte es nicht üben, das Weggehen, das Sterben, es war immer neu für die, die es erlebten, das Letzte, was sie durchlebten; alles konnte man üben, alle Kicks dieser Welt, bloß diesen einen nicht.
Franza lächelte. »Ja, mein kluger Herz«, sagte sie und nickte. Wieder schaute sie die Fotos an. »Wir brauchen ihre Geschichte. Was sie verbunden hat.«
»Ja«, sagte Herz. »Herr und Frau Brendler werden uns einiges erzählen müssen.«
Sie verließen das Büro. Ein milder Septemberabend gegen Ende der Ferien. Ein kleiner Junge und ein Mädchen hatten ihre Mutter verloren. Zwei Männer vermissten ihre Frauen. Trotzdem … ein milder Septemberabend.
Wie immer staunte Franza darüber. Dass niemals sich etwas änderte durch die Tode. Dass die Tage, die Abende blieben, wie sie waren. Milde oder stürmisch, kalt oder heiß, Regen oder Sonne. Sie schaute hoch zum Himmel, versuchte ein leichtes Dunkel zu erkennen, eine Eintrübung, zumindest vorübergehend – aber nichts.
Auf der anderen Straßenseite ging ein junges Pärchen vorbei, hatte die Köpfe zusammengesteckt. »Könnte Marlene sein«, murmelte Felix und schaute ein bisschen zu gebannt und dachte an seine Älteste, von der er so wenig wusste.
»Ja«, sagte Franza, »sie ist übrigens sehr hübsch geworden, deine Lene, kommt wohl nach ihrer Mutter«, und parierte Felix’ hochgezogene Augenbrauen mit einem Lächeln.
Sie dachte an Ben, der schrieb neuerdings Prosa und Lyrik und glaubte fest daran, künftig sein Geld damit zu verdienen. Franza hingegen hielt es für eine Therapie und dankte Gott für Max’ einträglichen Beruf und die kariösen Zähne seiner Patienten.
Die beiden auf der anderen Straßenseite knutschten jetzt heftig und Franza und Felix schauten ihnen zu, ein bisschen grinsend, ein bisschen verlegen. Franza dachte an den Beginn ihrer Geschichte mit Port. Einmal hatten sie sich im Sommer in der Stadt getroffen, und plötzlich hatte es wie aus Kübeln zu regnen begonnen. Sie liefen unter das Vordach einer Kirche, die Luft war heiß und schwül, ihre feuchten Kleider klatschten aneinander, sie schauten sich an, fielen sich in die Arme, begannen sich zu küssen. Im Augenblick des größten Rausches marschierte ein Trupp Jugendlicher vorbei, sie lachten, pfiffen und kommentierten anerkennend, was sie sahen, und Franza bekam Panik. Was, wenn Ben unter ihnen war, was, wenn er sie so sähe? Erschrocken barg sie ihr Gesicht an Ports Schulter, drückte sich an ihn, wie um sich zu verstecken und schickte ein Stoßgebet gen Himmel, was sie angesichts ihres Standortes auch nicht unpassend fand.
»Tja!«
Sie seufzte, holte die Zigarettenpackung aus der Tasche, die sie vor drei Tagen gekauft hatte und die optimalerweise auch erst halbleer war, und steckte sich eine Zigarette an.
»Du rauchst? Seit wann
Weitere Kostenlose Bücher