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Rabenvieh (German Edition)

Rabenvieh (German Edition)

Titel: Rabenvieh (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Anhofer
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Vorfälle – auch Missgeschick ist mir zum Glück kein weiteres passiert.

    Der Anweisung meiner Klassenlehrerin, dass meine Pflegeeltern mit mir einen Arzt aufsuchen sollten, ist man seit Monaten nicht nachgekommen. Erst kurz vor dem Ende der Sommerferien konnte sich meine Pflegemutter dazu durchringen. Sie ging mit mir zum niedergelassenen Hausarzt und wie sollte es anders sein, fand sie im Wartezimmer schnell eine Gesprächspartnerin, der sie gleich stecken musste, dass ich mit meinen zwölf Jahren nach wie vor ständig ins Bett nässen würde. Wenig später im Behandlungsraum bekam ich vom Arzt einen Plastikbecher in die Hand gedrückt, mit dem ich auf die Toilette sollte, um eine Urinprobe abzugeben. In meinem Urin wären auffallend viele Bakterien, wie der Arzt später meinte, und überreichte deshalb meiner Pflegemutter ein Rezept für eine Teekur. Diesen Tee sollte ich mehrmals am Tag über eine Woche hinweg trinken, um damit die Bakterien auszuschwemmen. Des Weiteren sollte sie nach Ablauf dieser Woche wieder mit mir vorstellig werden. Den Tee bekam ich die ersten drei Tage lieblos vorgesetzt – die weiteren Tage »vergaß« sie es. Nach einer Woche saßen wir erneut beim Arzt und nach neuerlicher Urinprobe entschied er, mir etwas Blut abzunehmen.
    Als wir dann das dritte Mal dort saßen, ging es um den Blutbefund. Gegenüber des Arztes saß meine Pflegemutter, links von ihm, auf einem alten Holzsessel, saß ich. Nachdem er meiner Pflegemutter erklärte, dass meine Nierenwerte auffallend hoch wären, fragte er mich, ob ich keinerlei Schmerzen verspüren würde. Ich schielte meine Pflegemutter von der Seite an und wusste sofort, dass ich mir keinen Fehler erlauben durfte. Mir fehlte der Mut, ihm vor meiner Pflegemutter zu sagen, dass mein Urin permanent übel riechen würde und dass ich obendrein noch ein Problem mit meinem unkontrollierten Harnabgang hätte. Ich befürchtete, dass sie mir zu Hause eine saftige Abreibung verpassen könnte, wenn ich ausgeplaudert hätte, dass sie von meinen Problemen seit Jahren wusste, dies aber nie medizinisch abklären ließ. Der Arzt drückte meiner Pflegemutter einen Überweisungsschein in die Hand und fügte hinzu, dass sie mit mir so bald wie möglich auf die urologische Station des Landeskrankenhauses fahren sollte, um durch weitere Untersuchungen eine eventuelle Nierenerkrankung auszuschließen. Der Überweisungsschein kam nie in diesem Krankenhaus an, was so viel hieß, dass meine Pflegemutter nie mit mir dort war. Sie ignorierte es schlicht, womit sie mir einen weiteren (lebenslangen) Schaden zufügte.

Pascal

    Pascal, der Großneffe meiner Pflegemutter, war etwa fünf Jahre alt, als er gelegentlich zu ihr zur Betreuung kam. Pascal war ein lebenslustiger Junge und ich beneidete ihn um seine Eltern. Seine Eltern, die stets so fürsorglich und liebevoll mit ihm im Umgang waren. Er war ein richtiges Sonnenscheinkind, das gerne wild herumtollte und pure Lebensfreude ausstrahlte. Ich genoss die Zeit mit ihm, denn er war in meinem Leben der Einzige, der mir durch seine Vitalität und sein entzückendes Lächeln zeigte, dass das Leben auch schöne Seiten hatte. Oftmals vergaß ich durch ihn meine Traurigkeit und dieser kleine Junge schaffte es ab und an sogar, in mir Daseinsfreude zu erwecken. Ich beneidete ihn auch stets darum, dass er von meiner Pflegemutter immer nur das beste Essen serviert bekam. Als Jause bekam er belegte Brote, die mit bester Wurst und bestem Käse belegt waren. Essen, das ich in dieser Qualität nie kennenlernen durfte. Manchmal, wenn Pascal gerade bei seiner Jause saß und meine Pflegemutter die Küche kurz verließ, schnappte ich mir ein kleines Stück Brot von seinem Teller und stopfte es gierig in mich hinein. Mit dem Zeigefinger vor meinem Mund deutete ich ihm gegenüber Stillschweigen an. Er hielt sich immer daran, als ob er wusste, was mir im Falle eines Verrats blühen würde.
    Eines Nachmittags, meine Pflegemutter saß wie fast jeden Tag in der Küche und löste Kreuzworträtsel, hatte ich, wenn Pascal zu Besuch war, während dieser Zeit die Aufsichtspflicht für ihn. Es war ein warmer Frühlingstag und ich beschloss, mit Pascal in den Garten zu gehen, um mit ihm zu spielen. Wir spielten zunächst etwas Fußball, danach »Fangen« anschließend »Verstecken.« Wie fast jedes Kind liebte auch er das Versteckspiel ganz besonders. Die meiste Zeit war ich damit beschäftigt, ihn zu suchen. Entgegen seinem Willen drehte ich aber das Spiel

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