Rabenvieh (German Edition)
sich zurechtzumachen. Ich musste die Zeit also nutzen, in der er am Strand und sie im Badezimmer war. Ich wartete schließlich auf diesen Moment und kaum war die Badezimmertür hinter ihr ins Schloss gefallen, sprang ich aus dem Bett. Vor lauter Eile hätte ich mich mit den Füßen beinahe in der Bettdecke verhangen und wäre aus dem Bett gestolpert. Justament zu diesem Zeitpunkt, als ich mein Nachthemd ausziehen wollte, kam meine Pflegemutter nochmals aus dem Badezimmer. Verschreckt und wie versteinert stand ich vor meinem Bett. Ihr Blick wandte sich im Zeitlupentempo von meinem Gesicht abwärts zu jener Stelle meines Nachthemdes, an der mein nasser Fleck zu sehen war. Wortlos kam sie auf mich zu, rempelte mich zur Seite, riss die Decke meines Betts herunter und sah den riesigen Fleck auf meinem Bettlaken.
»Dir war wohl das Gespött deiner Mitschüler keine Lehre, was?«, keifte sie mich an. Energisch zog sie sich ihren Morgenmantel über, riss das Bettlaken von meinem Bett, zog mich an den Haaren hinter ihr her aus dem Zimmer in Richtung Erdgeschoss. Beim Stiegenabgang ließ sie meine Haare los und forderte mich zürnend auf, ihr zu folgen. Ich hatte dieses nasse Nachthemd an und schämte mich in Grund und Boden, gemeinsam mit ihr und dem Bettlaken in ihrer Hand an die Rezeption gehen zu müssen.
An der Rezeption angekommen hielt sie vor der Rezeptionistin das Laken in die Höhe und zeigte dabei mit dem Finger auf mich. Mir fiel ein Stein vom Herzen, dass sich zu diesem Zeitpunkt niemand anderes dort befand. Meine Pflegemutter entschuldigte sich für meine Unartigkeit, worauf die Rezeptionistin im gebrochenen Deutsch mit »kein Problem« antwortete. Zurück am Zimmer hängte sie das Bettlaken über den Balkon. Direkt unter unserem Balkon befand sich eine große Frühstücksterrasse, welche nicht nur den Urlaubsgästen aus unserem Ferienhaus zur Verfügung standen, sondern auch Gästen aus den angrenzenden Ferienhäusern. Jeder Gast, der zum Frühstück kam, sah das über den Balkon hängende Laken. Das hätte mich soweit nicht gestört, denn schließlich wusste ja auch niemand, dass das Laken meines war.
Nach dem Frühstück wussten allerdings alle anwesenden Gäste, wessen Laken es war, denn für meine Pflegemutter gab es nur dieses eine Thema. Mit meinem Pflegevater sprach sie die ganze Zeit über das Schwein, das gemeinsam mit ihnen am Tisch sitzen würde. Sie lechzte richtig danach, mich hier vor allen Leuten aufzuziehen und fertigzumachen. Sie verunglimpfte mich vor allen als Bettbrunserin und zeigte dabei andauernd auf das oberhalb hängende Laken. So laut, wie sie sich am Tisch mit meinem Pflegevater unterhielt, konnten alle Urlaubsgäste an den Nachbartischen - ob sie wollten oder nicht – mithören. Ich war den Blicken dieser Leute ausgesetzt und ich hätte mich vor Scham am liebsten im Erdboden verscharrt. Allerdings konnte ich aus manchen Gesichtern entnehmen, dass sie Erbarmen mit mir hatten und der eine oder andere Urlaubsgast zwinkerte mir auch aufmunternd zu. Ich war so erleichtert, als nach einer Weile ein deutschsprachiger Urlaubsgast an unseren Tisch kam, mich meiner annahm und meine Pflegeeltern darauf ansprach, ob sie nicht glauben, dass das, was sie hier täten, deplaciert, unmenschlich und völlig geschmacklos wäre. Wie gerne wäre ich aufgestanden und hätte den Gast umarmt und mich für seine Hilfe bedankt, denn nach dieser Zurechtweisung fiel kein einziges Wort mehr.
Unmittelbar nach dem Frühstück gingen wir an den Strand. Wir waren nur noch wenige Meter vom Strand entfernt, als mein Pflegevater stehen blieb und mit dem Finger auf einen etwas weiter entfernten Felsen zeigte. »Dort ist dein Platz«, schnauzte er mich an. Ich sah ihn ganz verdattert an. Meinte er das ernst? »Soll ich dir nachhelfen?«, keifte er gleich noch hinterher. Sie gingen weiter und ließen mich einfach stehen. Ich blieb wie angewurzelt stehen und sah ihnen hinterher. Als er sich wenige Augenblicke später nochmals umdrehte und sah, dass ich noch immer auf demselben Fleck stand, machte er kehrt und marschierte mit schnellen Schritten und fuchsteufelswild auf mich zu. Ich rannte vor ihm weg und hörte dabei noch wie er mir »verschwinde« nachplärrte.
Barfuß stapfte ich durch den Sand, bis hin zu diesem abgelegenen Platz. Dort angekommen setzte ich mich auf den Felsen. Sie grenzten mich mit diesem Platz völlig aus, denn rings um mich herum war alles leer – nicht ein einziger Urlaubsgast lag in meiner
Weitere Kostenlose Bücher