Rabenvieh (German Edition)
Nähe. Weit und breit kein einzig kühles Schattenplätzchen.
Von meinem Platz aus sah ich eine Schar von Kindern, die ausgelassen und wild im Wasser tummelten. Ihr lautes Lachen und Kreischen war dabei nicht zu überhören. Ich beobachtete ihr Treiben von Weitem und stellte mir vor, einer von ihnen zu sein. Ich sah Eltern, die mit ihren Kindern Wasserball oder Frisbee spielten und ich sah Eltern, die mit ihren Kindern in Schlauchbooten saßen und sich mit jeder Welle ein Stück weiter ins Meer treiben ließen. Tief betrübt saß ich auf dem von der Sonne aufgeheizten Felsen und musste weinen. Um mich etwas abzulenken, nahm ich einen Stein und kratzte kleine Buchstaben und Bilder in den Felsen.
Stunden waren vergangen und ich saß noch immer auf diesem Felsen. Ohne Sonnenschutz, ohne eine Möglichkeit auf Schatten. Mich fortzubewegen wagte ich nicht, denn trotz der Entfernung hatten mich meine Pflegeeltern stets im Visier.
Die Sonne brannte unerbittlich vom Himmel und ich spürte, wie sich mein Kopf bedenklich erhitzte. Trotz der Anordnung, mich hier nicht von diesem Fleck zu bewegen, stand ich auf und ging zum Platz meiner Pflegeeltern. Ich war nur noch wenige Schritte von ihnen entfernt, als sich mein Pflegevater umdrehte und mich erblickte. Sofort sprang er auf und kam mir wieder mit schnellen Schritten entgegen. Ich nahm all meinen Mut zusammen und fragte ihn, ob ich nicht doch einmal kurz ins Wasser gehen dürfte. »Halts Maul, Bettbrunserin«, bekam ich als Antwort und mit dem Finger zeigte er an diesen Ort, wohin ich gefälligst wieder zu verschwinden hatte.
Vielleicht hatten sie ja doch ein wenig Erbarmen mit mir, dachte ich, denn anders als in den vorangegangen Tagen, gingen wir bereits am frühen Nachmittag ins Zimmer. Auf dem Weg dorthin war mir schon speiübel. Ich fühlte mich äußerst unsicher auf den Beinen, nahm meine Umgebung verschwommen wahr, und obwohl die Sonne nach wie vor vom Himmel brannte, jagte mich ein Schüttelfrost nach dem anderen.
Entgegen den Anweisungen meiner Pflegeeltern, welche war, dass ich mich umgehend zu waschen und anzukleiden hatte, legte ich mich ins Bett. Wenig überraschend, dass sie stinkwütend auf mich waren. Meine Pflegemutter kam an mein Bett und wollte mich gerade an den Haaren aus dem Bett ziehen, als ich schwallartig über die gesamte Länge des Betts kotzte. Ich rechnete mit einer saftigen Ohrfeige, weshalb ich instinktiv die Hände schützend vor mein Gesicht hielt. Zu meiner Verwunderung kam lediglich ein: »Du dreckiges Rabenvieh.«
Ohne einen weiteren Kommentar wandte sie sich von mir ab. Sie ging zum Schrank, entnahm daraus ein paar Sachen und verschwand damit wutschäumend im Bad. Beinahe dachte ich schon, dass das alles gewesen wäre. Wie konnte ich nur eine einzige Sekunde daran denken. Mein Pflegevater kam an mein Bett, packte mich an den Haaren und zog mich so in die aufrechte Sitzposition. Er drückte meinen Kopf so weit nach vorn und nach unten in Richtung Bettdecke, sodass ich beinahe mein Erbrochenes mit den Lippen berührte. Er meinte, sollte ich nicht innerhalb weniger Sekunden aus dem Bett sein und diese Sauerei beseitigen, würde er höchstpersönlich dafür sorgen, dass mein Gekotztes mein Abendmahl wäre. Wenn ich mein Erbrochenes also nicht essen wollte, musste ich mich eben irgendwie aus dem Bett plagen. Ich quälte mich aus dem Bett und ging an die Rezeption. Meine Gangart ähnelte dabei einen Stockbetrunkenen und es kam mir vor, als würde der Weg dorthin nie ein Ende finden. An der Rezeption bat ich um Bettwäsche und marterte mich danach den ganzen Weg wieder zurück. Ich überzog mein Bett neu, stopfte die angebrochene Bettwäsche in einem am Gang stehenden Wäschesack und legte mich danach ins Bett. Mein Pflegevater kam nochmals an mein Bett, richtete den Zeigefinger auf mich und verkündete mir, dass ich für mein Bettbrunsen und dieser Sauerei von vorhin mir das Abendessen sonst wo hinstecken könnte. Dass er mir damit einen riesen Gefallen machte, das schien ihm wohl nicht bewusst gewesen zu sein, denn zum einen hatte ich aufgrund meines Befindens ohnehin keinen Appetit und zum anderen konnte ich es kaum erwarten, meine Ruhe vor diesen abartig veranlagten Leuten zu haben. Sie sollten sich den Bauch ruhig ohne mich vollstopfen und meinetwegen könnten sie vor Gier auch daran ersticken. Ich wäre die Allerletzte gewesen, die ihnen nur eine einzige Träne nachgeweint hätte.
Die letzten Urlaubstage verliefen ohne weitere
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