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Rabenvieh (German Edition)

Rabenvieh (German Edition)

Titel: Rabenvieh (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Anhofer
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hatte schon längst ungeahnte Ausmaße angenommen. Sehr zur Freude meiner Pflegeeltern zeigten ihre jahrelangen Gehirnwäschen nach und nach Erfolge. Sie hatten mich irgendwann soweit, dass ich all das, was sie mir an den Kopf knallten, glaubte. Ich war davon überzeugt, dass ich ein schlimmes Kind war und nicht verdiente, geliebt zu werden und ich war ebenso davon überzeugt, dass ich diejenige war, die alles falsch machte und demzufolge die alleinige Schuld trug, dass sie mich so behandelten. Deshalb verzichtete ich schon immer öfters auf die ohnehin mageren Essensrationen, nur um ihnen mit meinem Dasein nicht noch mehr finanziell zu schaden. Ich machte den Abwasch noch schneller und ordentlicher, polierte das Geschirr so lange, bis es glänzte, und reinigte alles penibel sauber. Ich führte die Arbeiten im Garten noch zügiger und gründlicher durch, und versuchte noch bessere Leistungen in der Schule zu erbringen. Für meine Periode begann ich auf Vorrat ganze Rollen Klopapier auf der Schultoilette abzurollen, um mir diese dann zentimeterdick in meinen Slip legen zu können. Damit ersparte ich ihnen weitere Ausgaben und mir das ewige Donnerwetter, dass ich mit dem Stück Watte, das ich für diese Tage bekam, zu verschwenderisch sei. Doch all meine Bemühungen verliefen im Sande. Nichts konnte ich gut genug machen und langsam fehlte es mir an Ideen, wie ich sie endlich zufriedenstellen könnte.
    Mit meinen vierzehn Jahren gelangte ich schließlich zu der Überzeugung, dass es für mich keinen Gott gab. Denn ein gerechter Gott würde es nicht zulassen, dass ich so ein Dasein fristen musste. Ich war innerlich bereits ein völlig zerrissener Mensch. Meine Gefühle schwankten zwischen Angst und extremen Hass. Ich fing an, alle in meinem Leben zu hassen – Lehrer, Verwandte und Bekannte, meiner Pflegefamilie, den Hausarzt, Nachbarn. Alle jene, die mir je begegnet waren und tatenlos zusahen. Selbst Katarina hasste ich. Das Mädchen, das vor mir bei meinen Pflegeeltern untergebracht war und ich nie kennengelernt habe. Aber ich hasste sie, weil sie entkommen konnte und ich nicht. Ich hasste all die Kinder, die ich, wenn ich im Keller eingesperrt war, von Weitem spielen und herumtollen hörte. Und irgendwann hasste ich sogar die Sonne. Ich hasste es, wenn durch den Gitterschacht im Keller die Sonne hereinblinzelte, denn ich empfand es als weitere Bestrafung. In meiner Verzweiflung und Einsamkeit beschimpfte ich sie und machte ihr zum Vorwurf, dass sie ohnehin nie für mich scheinen würde. Aber in den tiefsten Tiefen meiner Seele hasste ich mich am meisten. Ich wollte stark sein, aber im Grunde meines Herzens wusste ich, dass ich selbst nichts anderes als ein Schwächling war, denn ich hatte nie den Mut, mich gegen meine Pflegeeltern aufzulehnen. Ich war ein Nichts. Stattdessen ließ ich mich jahrelangen Gehirnwäschen unterziehen, indem ich laut herausschreien musste: »Ich bin ein schlimmes Kind und verdiene nicht geliebt zu werden!« Auch meine Tagträume, in denen ich mit dem Butler an meiner Seite auf dem magischen Teppich saß und damit durch die Lüfte flog, gehörten schon längst der Vergangenheit an. In all den Jahren Jahre fragte ich mich, was der Grund sei, weshalb mich meine Pflegeeltern so hassten. Ich zeigte meiner Ansicht nach doch Dankbarkeit. Ich versuchte alles zu ihrer Zufriedenheit zu erledigen und ich übte mich in Perfektion. Es war nie gut genug. Nun war ich in meinem Leben an einem Punkt angekommen, an dem ich nicht mehr weiter um mein Leben kämpfen wollte. Ich war müde, ausgelaugt und völlig kraftlos, mir immer wieder neue Strategien überlegen zu müssen, um ein einigermaßen normales Leben führen zu können. Mein Überlebenswille war am Nullpunkt angelangt und ich hoffte, sie würden mich eines Tages einfach totprügeln, um allem ein Ende zu setzen. Um meine Chancen dahingehend zu erhöhen, versuchte ich sie von nun an zu reizen. Ich »vergaß« meine Pflichten im Haushalt und Garten, entnahm wieder Essen aus der Tiefkühltruhe, schlampte bei Hausaufgaben, wurde aufmüpfig in der Schule und missachtete sämtliche Regeln. Ich wollte, dass sie wussten, dass mir ab sofort alles egal war. Auch meine Aggressionen und meinen Hass versuchte ich nicht mehr unter Kontrolle zu halten. Eines Tages, als in der Schule die Pausenglocke schrillte und die große Pause ankündigte, rannte ich schnell auf die Toilette, um mich dort einzusperren. Ich wusste, dass es verboten war, bei Schönwetter während

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