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Rabenvieh (German Edition)

Rabenvieh (German Edition)

Titel: Rabenvieh (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Anhofer
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der Decke über den Kopf weinte ich mich in den Schlaf.

    Am Tag darauf in der Schule hatte sich diese Geschichte innerhalb eines Tages wie ein Lauffeuer verbreitet. Ich war gnadenlosem Spott und Hohn ausgesetzt. Nicht nur, dass die Mitschüler aus meiner Klasse dies taten, nein, die anderen aus den Nachbarklassen ächteten mich ebenfalls nach Lust und Laune. Einige schnüffelten beim Vorbeigehen an mir und posaunten lauthals hinaus: »Igitt, die stinkt nach Pisse.« Schallendes Gelächter im Gang war die Folge. Selbst meine Freundinnen hatten sich von mir distanziert. Sie lächelten mir zwar zu und die eine oder andere grüßte mich morgens auch, aber am Gespött beteiligten sie sich letztendlich genauso.
    Jahr für Jahr fürchtete ich mich vor den anstehenden Sommerferien. Ich war meinen Pflegeeltern in dieser Zeit vierundzwanzig Stunden ausgesetzt und hatte keine Möglichkeit, ihnen zumindest einmal für ein paar Stunden zu entkommen. Diesmal »freute« ich mich darauf. Ich würde dem Gespött meiner Mitschüler entkommen und hoffte, dass sich in den Ferien das Ganze etwas beruhigen könnte. Hinzu kam noch, dass eine Aufstufung in eine andere Klasse oder Schulwechsel in eine höher bildende Schule seitens der Schule angedacht wurde. Meine Pflegemutter wehrte sich zwar vehement gegen diese Maßnahme, weil sie der Ansicht war, dass ich für eine höhere Schule viel zu dumm wäre und sie sich diesem Stress nicht unnötig aussetzen wolle.
    Meine Leistungen in der Schule waren nicht gerade schlecht. Ich lernte viel und intensiv, allen voran mit dem Hintergrund, dass ich um jeden Preis allen beweisen wollte, dass ich nicht dieses dumme Ding war, als das ich von meinen Pflegeeltern allzeit betitelt wurde.

    Das Schuljahr war zu Ende, was aber nicht hieß, dass die Gemeinheiten meiner Pflegeeltern ein Ende hatten.
    Meine Pflegeeltern buchten eine zehntägige Busreise ans Meer. Einerseits fürchtete ich mich davor, mit ihnen auf Urlaub zu fahren, denn das bedeutete, dass ich im selben Zimmer untergebracht sein würde und ihnen vierundzwanzig Stunden erbarmungslos ausgeliefert wäre. Zudem machte ich mir ernsthafte Gedanken darüber, dass mich, allen voran meine Pflegemutter, vor anderen Urlaubsgästen bloßstellen könnte. Andererseits freute ich mich darauf, denn das hieß für mich zehn Tage Auszeit von körperlichen Misshandlungen. Außerdem bekam ich anhand der vorab geführten Gespräche zwischen meinen Pflegeeltern mit, dass das Zimmer mit einer Dusche ausgestattet wäre. Wie groß meine Freude darüber war, mich das erste Mal in meinem Leben duschen und meine gehasste rote Waschschüssel für diese Tage in die Ecke stellen zu dürfen, vermag ich heute mit Worten nicht mal annähernd wiederzugeben.
    Unsere Unterkunft ähnelte einem Appartement. Ein wunderschönes, riesiges Zimmer im ersten Stock eines Ferienhauses inklusive eines großen weiß – rosa gefliesten Badezimmers. Einem Balkon mit atemberaubendem Ausblick und Blick auf das Meer – zum Strand waren es nur wenige Meter. Die Hälfte des Urlaubs war ohne besondere Vorkommnisse verstrichen und ich erfreute mich Tag für Tag des Gefühls des Duschens. Ich genoss dieses unbeschreiblich schöne Gefühl, wenn das Wasser wie ein lauwarmer Regen über meine Haut lief. Ich war fasziniert davon, Wasserperlen auf meiner Haut zu zählen und kostete dabei jede einzelne Sekunde dieses schönen Momentes voll aus. Das Gefühl des Duschens war mit Abstand das schönste Erlebnis in meiner Kindheit. Doch eines Morgens nach dem Erwachen musste ich wieder einmal entsetzt feststellen, dass mein Bett nass war. Obwohl das Zimmermädchen täglich kam, um das Zimmer in Ordnung zu bringen, ließ es sich meine Pflegemutter nicht nehmen, die Betten zu machen. Dass sie vor nichts zurückschreckte, diese Erfahrung machte ich bereits und so ging ich davon aus, dass sie auch davor nicht zurückschrecken würde, mir hier vor allen Urlaubsgästen eine Lektion zu erteilen. Ich lag noch im Bett und zermarterte mir den Kopf, wie ich mein Missgeschick am besten vertuschen könnte. Ich war den Tränen nahe. Um mein Malheur zu verbergen, bot sich mir letztendlich nur eine einzige Möglichkeit. Aufstehen, mein Nachthemd ausziehen, mich ankleiden, das Bett machen und mein Nachthemd unterm Polster verstecken. All das in einem Rekordtempo. Wie jeden Morgen, wenn mein Pflegevater mit den Badetüchern an den Strand ging, um dort Plätze zu reservieren, begab sich meine Pflegemutter derweil ins Bad um

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