Rabenzauber
Fesseln lösen konnte. Sobald er wieder auf den Beinen stand, schien sich Bandor ein wenig zu erholen. Die Ausdruckslosigkeit wich langsam aus seinem Gesicht, und man konnte etwas von seiner Persönlichkeit erkennen, als würde ein Weinschlauch wieder mit Wein gefüllt.
Lehr stützte ihn immer noch, aber Seraph trat zurück - sie erinnerte sich, was Rinnie über Bandors Angst vor ihr gesagt hatte. Sie wollte ihn nicht noch mehr bekümmern.
»Also gut, Jes«, sagte sie ruhig. »Lass sie herein.«
Jes starrte sie an, dann senkte er den Kopf. Sie verbarg einen erleichterten Seufzer: Die nächsten Minuten würden auch interessant genug werden, ohne dass Jes außer Rand und Band geriet. Alinath eilte ohne einen Blick um sie alle herum und stellte sich vor Bandor.
»Ist es wahr?«, fragte sie. »Geht es ihm jetzt besser? Ist er unverletzt?«
Seraph zog eine Braue hoch und sah Hennea an, die sich erschöpft an die Wand lehnte. Sie nickte.
»Er wird wieder in Ordnung kommen«, sagte Seraph. »Lass ihm eine Weile Zeit, um sich zu erholen, und dann wird alles wieder gut.«
Alinats Mund zitterte, und sie machte einen weitern Schritt, bis sie direkt an ihren Mann gedrückt stand. Sie sah klein und zerbrechlich aus. »Bandor«, sagte sie. »Bandor.«
Karadoc, der sich schwer auf seinen Stab stützte, sah Jes an.
»Ellevanal mag dich, Junge, obwohl du nie in seinen Tempel kommst; das sagte mir schon, dass mehr an dir ist, als ich dachte. Ich hatte allerdings nicht so viel mehr erwartet. Du hast einiges von der Magie deiner Mutter in dir, wie, und sie genutzt, damit wir nicht hereinkamen?«
»Ja«, stimmte Seraph zu. »Jes ist mehr, als er scheint.«
»Reisende«, sagte Karadoc streng, als erinnere er sich an seine Pflicht. »Reisende, was ist hier geschehen?«
»Schatten und Magie, Priester«, sagte sie. »Volis und Bandor waren umschattet. Wenn ich gewusst hätte, dass man auch den Priester hätte heilen können, hätte ich …« Sie erinnerte sich daran, wie befriedigend es sich angefühlt hatte, ihn mit ihrem Messer aufzuhalten, und sagte nur noch: »Aber ich wusste nicht genug.«
»Woher wusstest du, dass sie umschattet waren?« Der alte Mann, dachte sie, spielte die Rolle des strengen Priesters hervorragend. Das war ein gutes Zeichen. Wäre er von all der Magie wirklich verängstigt gewesen, dann hätte er sich nicht die Zeit genommen, für sein Publikum zu agieren; er hätte sofort den Rest der Ältesten geholt.
»Seraph fand mich heute Abend, nachdem Bandor gegangen war«, sagte Alinath, während sie und Lehr Bandor halfen,
sich auf den Boden zu setzen. »Ich war geschlagen worden und gefesselt. Ich sagte ihr, dass etwas mit Bandor nicht stimme. Selbst nach all diesen Jahren nährte er immer noch eine bittere Eifersucht auf meinen Bruder.« Sie hielt inne, dann fügte sie hinzu: »Ich weiß nicht, was genau er getan hat, aber er hatte mit dem Tod meines Bruders zu tun.«
Sie setzte sich neben ihren Mann und hob das Kinn auf eine Weise, die Seraph nur zu gut kannte. »Ich habe die Entscheidungen, die mein Bruder getroffen hat, nie wirklich akzeptieren können«, sagte sie. »Ich kann mit Magie und mit Seraph nichts anfangen. Das weißt du, Karadoc. Ich würde mich nie gegen meinen Bandor und auf ihre Seite stellen. Aber ich weiß auch, dass Bandor, wenn er er selbst wäre, mich niemals schlagen würde. Er hätte sich nie zum Sklaven eines anderen gemacht, wie er sich von diesem falschen Priester versklaven ließ.« Sie spuckte die Worte geradezu aus. »Wenn Seraph sagt, dass er umschattet war … nun, dann muss ich ihr eben glauben.«
Niemand, dachte Seraph insgeheim erheitert, konnte übersehen, wie sehr es Alinath störte, Seraph zustimmen zu müssen.
Karadoc nickte förmlich. »Akzeptiert.« Er grinste Seraph an und verwandelte sich damit sofort von einem säuerlichen alten Mann in einen schelmischen Gnom. »Du solltest wissen, dass Alinath schon vor ein paar Tagen zu mir kam, weil sie sich wegen des seltsamen Verhaltens ihres Mannes Sorgen machte. Ich sagte ihr, sie solle ihn weiter beobachten, denn Menschen, die wie wir in der Nähe von Schattenfall leben, müssen immer vorsichtig sein, wenn solche Dinge geschehen.«
Er schüttelte den Kopf. »Aber wir werden allen anderen natürlich eine andere Geschichte erzählen müssen, oder Seraph wird nicht hierbleiben können, und niemand wird glauben, dass Bandor wirklich geläutert ist.«
Der Bäcker kauerte neben seiner Frau und hatte den Kopf gesenkt,
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