Rabenzauber
zusätzliche Macht da nicht helfen?«
»Reisende haben nicht gerne mit den Toten zu tun«, sagte Jes. Er hatte sich auf dem Boden niedergelassen, hielt so viel von Gura auf dem Schoß, wie er konnte, und kämmte den Hund mit einem silbernen Kamm, der neben Isoldas Bett gelegen hatte.
»Es geht nicht unbedingt darum.« Hennea blickte von ihrem Buch auf. »Aber uns ist bewusst, dass es gefährlich sein kann, mit dunkler Magie zu spielen.«
»Besonders, wenn einen das gegenüber dem Pirschgänger verwundbar macht«, stimmte Seraph zu. »Da wir jetzt wissen, dass er bereits mit diesen Dingen zu tun hat, wäre es dumm von uns, ihm auch noch Gelegenheit zu geben, eine von uns einzuladen.«
»Ich bin gern unterwegs«, sagte Jes zufrieden.
Hennea warf ihm einen Blick zu. Er hatte die Augen halb geschlossen und hob das Gesicht zur Sonne. Seraph und Lehr befanden sich ein gutes Stück hinter ihnen; Jes ging meistens schneller, als es Scheck gefiel. Seraph wollte das alte Pferd nicht drängen, also gingen Hennea und Jes eine Weile vor, und dann setzten sie sich und warteten, dass die anderen sie einholten.
»Was gefällt dir daran?«, fragte sie.
»Der Hüter ist froh, weil wir Papa holen werden«, sagte er. »Und Rinnie ist bei Tante Alinath in Sicherheit. Ich mag Tante Alinath nicht, aber ich weiß, dass Rinnie sie gern hat. Und ich weiß, dass Tante Alinath und Bandor gut auf sie aufpassen werden. Mutter und Lehr sind ebenfalls in Sicherheit, weil sie bei mir und bei Scheck und Gura sind. Ich bin draußen, und die Sonne scheint und wärmt mir das Gesicht.«
»Ich bin auch gern unterwegs«, gab Hennea zu.
»Warum?« Er hüpfte einen Schritt vor, dann drehte er sich um und sah sie mit einem strahlenden Lächeln an, das seine
Augen leuchten ließ und das tiefe Grübchen in seiner Wange sichtbar machte.
Sie erwiderte das Lächeln; sie fand es beinahe unmöglich, nicht so auf Jes zu reagieren, wenn er glücklich war. »Aus den gleichen Gründen, die du hast. Unterwegs zu sein bedeutet, dass in diesem Augenblick nichts Schlimmes geschieht. Und es gibt interessante Dinge, die man betrachten kann. Meine Füße spüren gern die Straße unter sich.«
»Ja«, sagte er zufrieden. »Genau.«
Eine Minute später fügte er hinzu: »Lehr ist allerdings nicht froh.«
»Er ist nicht gern unterwegs?«, fragte sie.
Er verzog nachdenklich das Gesicht. »Ich glaube nicht, dass es darum geht. Er macht sich einfach zu viele Gedanken. Er ist wie der Hüter. Er glaubt, er muss sich um alle kümmern. Er weiß nichts vom Unterwegssein. Er ist der Ansicht, dass viele Dinge schlecht sind, und versucht, Probleme zu lösen, bevor sie wirklich entstehen.«
Hennea sagte: »Du kennst deinen Bruder ziemlich gut, wie?«
Jes nickte. »Er ist mein Bruder, und ich mag ihn. Er hat keine Angst vor dem Hüter; er mag den Hüter ebenfalls. Das gefällt mir. Und Rinnie liebt uns auch. Aber sie will kein Hüter mehr sein, weil sie lieber mit dem Wind spielt.«
»Ich mag deine Familie, Jes«, sagte Hennea leise.
Wieder lächelte er. »Ich ebenfalls.«
Eine Woche vor Korhadan, der ersten großen Stadt zwischen ihnen und Taela, machten sie zum Mittagessen Halt und aßen ein wenig entfernt von einer anderen größeren Gruppe, der sie schon seit ein paar Tagen folgten.
»Wir könnten auch unterwegs essen, Mutter«, sagte Lehr zu Seraph, als diese sich neben ihn setzte. »In der Zeit, die
Jes zum Essen braucht, könnten wir eine weitere Meile schaffen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Diesen Vorsprung würden wir in ein paar Tagen gleich wieder verlieren, wenn Scheck zu müde wäre, um weiterzugehen. Es ist kein Problem, schnell voranzupreschen, wenn deine Reise in einem oder zwei Tagen zu Ende ist, aber wir müssen ein Tempo anschlagen, das wir einen Monat oder länger aufrechterhalten können. Was ist mit der Blase an deinem Fuß?«
»Die ist geheilt.«
»Reisendenhure!«
Seraph war aufgesprungen, bevor der Ausruf des jungen Mannes zu Ende war. Sie sah Hennea neben einem rasch fließenden Bach stehen, den Trinkbecher locker in der Hand, während ein Batzen nassen Schlamms von ihrer Wange fiel. Hennea war so entsetzt, dass sie jung und verwundbar wirkte, aber das würde nicht lange dauern.
Bevor Seraph mehr als einen oder zwei Schritte tun konnte, stand Jes mit Gura an seiner Seite zwischen Hennea und einer kleinen Gruppe junger Männer.
»Entschuldigt euch«, flüsterte Jes.
Seraph wurde schneller.
Die Männer wichen zurück, und die
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