Rabenzauber
zurückziehen. Sie würde sich schon noch ein wenig bewegen, bevor sie einschlief.
»Nein«, bestätigte sie gähnend. »Brewydd sagte, es habe immer nur eine eingeschränkte Anzahl von Weisungen auf der Welt gegeben. Wenn ein Mensch mit einer Weisung stirbt, wird diese Weisung geläutert und geht an einen anderen über. Aber wegen der Einmischung des Pfads sind diese Weisungen nicht geläutert worden.«
»Wie meinst du das?«, fragte er. Diese spätnächtlichen Gespräche hatten ihm gefehlt. Nach ihrem Aufbruch aus Taela war er am Abend immer zu müde gewesen, um nicht sofort
einzuschlafen. Er war auch an diesem Abend müde, aber nicht so erschöpft, dass er das Bewusstsein verlor, sobald er aufhörte, sich zu bewegen.
»Die meisten Edelsteine funktionieren nicht richtig«, sagte Seraph. »Es war vorgesehen, dass ein Zauberer, wenn er den Edelstein an der Haut trug, die Kräfte der Weisung einsetzen konnte, als wäre er derjenige, von dem sie diese gestohlen hatten. Brewydd denkt, dass sie die Weisungen zu früh gestohlen haben, bevor sie durch den Tod ihres vorherigen Trägers geläutert wurden.«
»Also werden die Steine sozusagen von Gespenstern heimgesucht?«, fragte Tier.
Seraph nickte. »Das nehmen wir jedenfalls an. Volis sagte, dass keiner der Heilersteine richtig arbeite.«
»Würde es die Weisungen nicht befreien, wenn ihr die Steine zerbrecht?«
Seraph zuckte die Achseln. »Das könnte passieren. Aber die Weisungen verfügen immer noch über Einzelheiten der Erfahrung des ehemaligen Besitzers - vielleicht sogar seiner Persönlichkeit. Brewydd dachte, das könnte sie davon abhalten, sich mit einer neuen Person zu verbinden, oder, was noch schlimmer wäre, dazu führen, dass eine Weisung sich eher auswirkt wie die Besudelung durch einen Schatten.« Sie holte tief Luft. »Und vielleicht wie die Weisung des Hüters.«
»Dann ist klar, dass du sie nicht einfach zerstören kannst.« Tier strich seiner Frau übers Haar.
»Es könnte am Ende doch noch dazu kommen«, sagte Seraph. »Aber im Augenblick will ich ein solches Risiko einfach noch nicht eingehen.«
Die Berge hatten Vor- und Nachteile, dachte Tier ein paar Tage später. Sie bedeuteten, dass sie näher an ihrem Zuhause waren, aber sie verlangsamten die kleine Gruppe auch.
Jes und Lehr hatten es übernommen, zusammen mit Gura den Weg auszukundschaften und sich nach Wild und Banditen umzusehen - was es den anderen überließ, ihnen zu folgen: zwei Frauen und ein Krüppel mit seinem alten Schlachtross, dachte Tier säuerlich. Auf der Reise mit Benrolns Clan hatte er sich daran gewöhnt zu reiten, während die anderen zu Fuß gingen, aber jetzt, wenn ihn nur zwei Frauen begleiteten, störte es ihn wieder mehr.
Als sie zu einem relativ ebenen Teil des Weges kamen, schwang er ein Bein über Schecks Rücken und ließ sich mit einem Stöhnen auf den Boden fallen.
»Was machst du denn da?« Seraph stützte die Hände auf die Hüften und sah ihn verärgert an.
»Ich werde ein bisschen laufen«, erwiderte er und ließ seinen Worten Schritte folgen.
»Brewydd hat dir doch gesagt, du sollst deine Knie schonen.« Seraph hakte sich bei ihm unter und ging neben ihm her.
»Das ist eine Woche her«, sagte Tier. »Ich gehe nur, wenn der Weg eben ist. Scheck braucht ein wenig Rast.«
»Nein«, erwiderte sie störrisch. »Tier …« Sie unterbrach sich. Dann fuhr sie leiser fort: »Ich weiß, ich mache mir zu viel Gedanken. Aber ich kann diese Situation einfach nicht ausstehen! Ich hasse es, dass du verletzt wurdest. Und ich hasse es noch mehr, dass ich die Männer, die dafür verantwortlich waren, erst verbrennen durfte, nachdem sie schon tot waren.«
Er steckte die Finger der linken Hand in ihre Zöpfe und beugte sich vor, um sie auf den Mund zu küssen. »Du bist nicht für alles verantwortlich, was geschieht, mein Rabe. Du kannst nicht verhindern, dass jemandem von uns etwas zustößt oder wir sterben. Das steht dir nicht zu. Und das solltest du lieber akzeptieren, Liebste.«
Sie erwiderte zunächst nichts mehr, sondern schmiegte sich nur enger an ihn, während sie weitergingen.
Aber als sie das Ende der ebenen Stelle erreichten und Tier stehen blieb, um wieder in den Sattel zu steigen, sagte sie laut: »Doch.«
»Doch was?«, fragte er schmerzerfüllt. Es war nicht so schlimm gewesen zu gehen, aber wieder aufs Pferd zu steigen, tat schrecklich weh. Sein linkes Knie wollte sich nicht genug beugen, damit er den Fuß in den Steigbügel bekam, und
Weitere Kostenlose Bücher