Rabenzauber
sind.«
Hennea war wohl der gleichen Ansicht, denn Jes folgte ihr schon bald durch die Bäume. Sobald sie außer Sichtweite der anderen waren, ebbten deren Gefühle zu einem Murmeln ab, aber Hennea führte ihn noch weiter.
»Du musst mit uns kommen. Ich brauche dich«, sagte er.
Sie tätschelte seinen Arm - eine mütterliche Geste -, dann verschränkte sie ihre Arme und wandte sich ab. Sie fand etwas scheinbar Interessantes an der Rinde eines Baums und verfolgte die Muster der rauen Oberfläche mit einem Finger.
»Es wird dir gut gehen«, sagte sie dem Baum, obwohl Jes annahm, dass sie eigentlich mit ihm sprach. »Es ist nicht nötig, dass ich mit dir komme. Ich habe bezahlt, was ich deiner Mutter schuldig war, weil ich sie dazu gebracht hatte, Volis den Priester zu töten. Und wir haben dafür gesorgt, dass der Geheime Pfad keine Reisenden mehr umbringen wird, um ihre Weisungen zu stehlen.«
Jes starrte ihren Rücken an. Bedeutete er ihr denn gar nichts? Wahrscheinlich. Sie war einfach nur freundlich zu ihm gewesen, hatte ihn gerettet und dabei geküsst. Zweifellos war er nicht der einzige Mann, den sie je geküsst hatte.
Und wie konnte sie denn auch etwas für ihn übrighaben? Hatte er vergessen, was er war? Ein Wahnsinniger, der zwischen einem Einfältigen und einem wütenden Ungeheuer hin und her schwankte. Er sollte froh sein, dass sie nicht schreiend davonlief.
»Lass mich mit ihr reden.«
Um so etwas hatte der Hüter ihn noch nie gebeten; bisher hatte er ihn immer einfach übernommen. Jes zögerte und erinnerte sich an dieses erste besitzergreifende Aufbrüllen. Aber der Hüter konnte sich bei den seltenen Gelegenheiten, wenn er ruhig blieb, besser ausdrücken als Jes. Vielleicht würde er sie ja überreden können.
»Wir können sie nicht zwingen«, sagte er. Vielleicht hätte er es nicht laut aussprechen sollen, denn Hennea schien nicht froh zu sein, als sie sich umdrehte und ihn anstarrte, aber der Hüter hörte nicht so gut auf Jes, wie Jes auf den Hüter hörte. Jes wollte nicht, dass der Hüter alles noch schlimmer machte.
»Bitte. Sie muss mit uns kommen.«
Mit einem Seufzen ließ Jes sich vom Hüter überwältigen.
»Du kannst mich nicht zwingen«, sagte Hennea.
»Nein«, stimmte er zu und trat ein Stück zurück, weil er befürchtete, ihr Furcht einzujagen - obwohl sie vollkommen gelassen
wirkte. Er wollte ihr keine Angst machen. »Was hast du jetzt vor, nachdem du deine Schuld an meine Mutter abbezahlt hast und der Pfad zerstört wurde?«
»Ich werde den Schatten suchen«, sagte sie. »Es könnte sein, dass der Mann, den du durch die Gänge des kaiserlichen Palasts verfolgt hast, nur ein weiterer Solsenti -Zauberer ist. Aber wenn nicht, wäre es eine Katastrophe, ihn frei herumlaufen zu lassen.«
Der Hüter senkte die Lider und versuchte, nicht einschüchternd zu wirken. Er hatte nicht viel Übung in solchem Verhalten.
»Mein Vater sagte zu Benroln, der Schatten werde sich an uns für die Zerstörung des Geheimen Pfads rächen wollen«, berichtete er. »Wenn du ihn finden willst, kannst du das wahrscheinlich am besten in unserer Nähe tun.«
»Oder bei Benroln und seinen Leuten, wenn der Clanführer seinem Ruf folgt«, sagte sie.
Aber sie klang nicht mehr so überzeugt wie zuvor.
»In den Papieren, die der Pfad zurückließ, gab es keinen Hinweis auf die Identität des Schattens«, sagte der Hüter. »Kein Diener wusste etwas, und die Angehörigen des Pfades, die der Kaiser verhören ließ, wussten ebenso wenig. Nur die Zauberer hätten vielleicht sagen können, wer er ist, doch sie wurden alle getötet. Es könnte noch Aufzeichnungen in den Tempeln geben, aber der Kaiser vermochte gegen die Tempel der Fünf Götter in Taela nichts zu unternehmen, denn er war nicht imstande, sie offiziell mit dem Pfad in Verbindung zu bringen. In Redern jedoch gibt es einen Tempel, den du durchsuchen könntest.«
»Das haben wir bereits getan«, erwiderte Hennea.
»Ach ja? Ich dachte, zwei erschöpfte Raben seien alles durchgegangen, vor allem, um die Edelsteine mit den Weisungen zu finden und alles andere, was Dorfleuten schaden könnte, die
den Tempel auf eigene Faust erforschten. Hast du Volis’ gesamte Korrespondenz gelesen? Seine Tagebücher? Hast du damals schon nach einem neuen Schatten gesucht?« Er kannte die Antworten auf diese Fragen - und Hennea ebenfalls, denn sie antwortete nicht.
»Und dann sind da die Edelsteine des Pfads«, murmelte er und versuchte sich nicht anmerken zu
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