Rabenzauber
kleinen Bäumen und Büschen umgeben war. Tier hinkte schwer, und Seraph zuckte innerlich bei jedem seiner Schritte zusammen.
Sie legte das Bettzeug auf einen Stein, wo es nicht zu nass werden sollte, aber sie hielt Tier auf, als er seines entrollen
wollte. »Nein. Warte kurz, und ich finde etwas viel Besseres für uns.«
Sie legte ihren Rucksack hin und holte die Tasche mit ihren Mermori heraus. Es gelang ihr schnell, Isoldas Mermora zu finden, und sie steckte das zugespitzte Ende in den Boden. Dann trat sie zurück und murmelte die Worte, die das uralte Haus von Isolda der Schweigsamen heraufbeschwören würden.
Es dauerte einen Augenblick, in dem die Magie sich ordnete. Seraph konnte das vertraute Gewebe von Hinnums Bann spüren, das sich entfaltete, sich an das Muster von Isoldas Haus erinnerte und Räume neu erbaute, die längst verrottet sein mussten. Für Seraph war das Entstehen des Hauses im Schutz des Waldes ebenso ein körperliches Gefühl wie ein Anblick.
Isoldas Haus war nicht sonderlich groß gewesen, vor allem nicht für Colossae, aber größer als das Haus, das Tier für Seraph gebaut hatte. Die Vorderseite von Isoldas Heim war entworfen, um einen angenehmen Eindruck zu machen, und hatte dekorative Backsteinmuster. Die Seitenmauern hingegen verliefen gerade und schlicht - so gerade, das Seraph davon ausging, dass es direkt an die Nachbarhäuser angebaut gewesen war und nicht frei gestanden hatte. Der Kontrast zwischen der schönen Fassade und den Seiten ließ es ein wenig seltsam wirken, besonders wenn es allein im Wald stand statt an einer lebhaften Straße.
»Wir können heute Nacht hier schlafen«, sagte sie.
»Ich dachte, das würdet ihr nicht tun«, erwiderte Tier, aber er folgte ihr eine kleine Treppe hinauf und durch die Ebenholztür.
»Es kann gefährlich sein«, antwortete sie und richtete ihre Aufmerksamkeit vor allem auf sein langsames Vorankommen. »Das hier ist eine Illusion - eine sehr gute Illusion, aber bei
unangenehmem Wetter kann man in diesem Haus erfrieren, ohne es auch nur zu merken. Doch es hat aufgehört zu regnen, und wir haben unsere eigenen Decken.«
»Warum haben wir die Häuser dann auf dem Heimweg nicht benutzt?«, fragte Tier.
»Magie - jede Magie - neigt dazu, diverse unangenehme Geschöpfe anzuziehen, die ich lieber nicht wecken wollte«, sagte Seraph und zog einen Stuhl weg, um den Tier sonst hätte herumgehen müssen. »Und die Illusion ist gut genug, dass man nicht hören kann, wenn etwas draußen herumschleicht. Aber heute Abend - nun, es gab hier genug Magie, um ohnehin alles in der Umgebung anzulocken, also wird Isoldas Haus keinen Unterschied mehr machen. Und mit meinem frischen Schutzzauber kann nicht viel durchkommen. Wir werden hier sicher und allein sein.«
Das Haus wurde von kleinen Laternen beleuchtet. Tier hinkte hinter ihr durch das Wohnzimmer und in das kleinste Schlafzimmer. In diesem Raum gab es weniger persönliche Gegenstände als in den anderen Schlafzimmern. Seraph hatte es immer für ein Gästezimmer gehalten und fühlte sich hier wohler, weniger wie ein Eindringling und mehr wie ein Gast.
»Es kommt mir irgendwie falsch vor, diese schmutzigen Decken aufs Bett zu legen«, sagte Tier.
Sie verstand, was er meinte - Isoldas Bettzeug war makellos weiß. »Schon gut. Der Schmutz wird beim nächsten Mal, wenn die Mermora ins Leben gerufen wird, nicht mehr da sein.«
Tier schüttelte den Kopf, aber er löste die Schnur um seine Decken und rollte sie auf dem Bett aus. Seraph konnte sehen, dass ihn an diesem Abend mehr beunruhigte als seine Knie.
»Du hast Schmerzen«, sagte sie. »Zieh dich aus und lass mich sehen, was los ist.«
Er musste wirklich müde sein, denn er befolgte ihre Anweisung ohne ein scherzhaftes Widerwort. Sie drehte den Docht an der Nachttischlampe höher, damit sie besser sehen konnte.
Er bewegte sich langsam, und sie sah, dass er zu der neuen Verletzung an seinen heilenden Knien auch noch eine Wunde an der linken Schulter hatte. Als er ausgezogen war, ging sie einmal um ihn herum, um sich den Schaden mit Augen anzusehen, die durch drei Kinder geschult waren, die alle nur zu gern auf Bäume, Scheunen und an andere Orte kletterten, die für Vögel erheblich geeigneter waren als für Menschen.
»Nichts, das ein paar Tage Ruhe und ein gutes heißes Bad nicht heilen könnten«, stellte sie schließlich erleichtert fest. Ganz gleich, was Lehr gesagt hatte, Tiers offensichtliche Schmerzen hatten sie beunruhigt. »Leg dich
Weitere Kostenlose Bücher