Rabenzauber
Aber der Ring schützt vor der Hitze.«
Er legte einen Arm um ihre Taille und rollte sie lachend unter sich. »Also gut, also gut. Kein Rabe würde sich auch nur im Traum einfallen lassen, Zauberei einzusetzen, und Raben werden nicht Jahrhunderte alt.«
»Stimmt«, sagte Seraph und vergrub das Gesicht an seinem Hals. »Hennea ist also keine jahrhundertealte Zauberin - und sie ist auch nicht der Schatten. Das würden wir wissen - Jes würde es wissen.«
Tier rollte sich auf die Seite und schwieg einen Moment. Sie dachte schon, er wäre eingeschlafen, und war selbst dabei einzudösen, als er wieder zu sprechen begann.
»Wenn Hennea sich mit dir zusammengetan hat, um den Pfad zu stürzen, warum ist sie dann immer noch hier? Warum sucht sie nicht nach ihrem Clan, um sich ihm wieder anzuschließen? Du sagtest, der Pfad habe nicht ihren gesamten Clan umgebracht, nur ihren Geliebten, der ebenfalls Rabe war.«
Seraph setzte zu einer Antwort an, aber er fuhr fort. »Ich stelle diese Fragen wegen Jes. Ich denke, wenn sie glaubte, einfach gehen zu können, hätte sie uns so schnell wie möglich verlassen, schon wegen Jes.«
»Wie meinst du das?«, fragte Seraph stirnrunzelnd. Tier konnte besser mit Menschen umgehen als sie, aber sie war sicher, dass Hennea sich zu Jes hingezogen fühlte. »Sie mag Jes.«
»Sie liebt ihn«, erklärte er mit größerer Sicherheit, als Seraph sie je anderen gegenüber empfinde konnte. »Und deshalb würde sie gehen, wenn es ihr möglich wäre.«
»Das verstehe ich nicht.« Sie konnte es nicht ausstehen, wenn Tier so etwas tat - er hatte so gut wie immer recht, was Menschen anging, aber sie konnte es nicht leiden, wenn er sich bewusst unklar ausdrückte, und genau deshalb tat er es natürlich.
Tier grinste, und seine Zähne blitzten hell in dem trüb beleuchteten Raum. »Nicht du, meine Liebe. Du nimmst die Welt und schüttelst sie so lange, bis sie dir passt. Die meisten von uns haben dafür zu viele Zweifel. Und Hennea macht sich Sorgen um Jes. Nicht nur, weil er zu jung ist, sondern auch wegen seiner Weisung. Er befindet sich mitten in einer Veränderung - das muss dir doch aufgefallen sein.«
»Ja.« Seraph unterdrückte strengstens die Angst, die dieser Gedanke ihr verursachte. »Jes verwandelt sich nun häufiger in den Hüter, und es passiert schneller.« Sie sagte das Nächste
sehr rasch, als ob sie damit verhindern könnte, dass es wahr war. »Und ich glaube nicht, dass der Hüter in letzter Zeit wirklich vollkommen verschwunden war.«
»Jes hat mir als Hüter gesagt, was im Brunnen des Schmieds lebte«, erzählte er ihr. »Er sagte, er könne es riechen. Ist Jes jemals einem Nebelmahr begegnet?«
Seraph zupfte nervös an der Decke. »Nicht, dass ich wüsste. Hier in den Bergen gibt es keine Nebelmahre, und auf dem Weg nach Taela haben wir auch keinen gesehen.«
»Das dachte ich mir schon. Ich fragte ihn, wie er das wisse, und der Hüter verschwand willentlich und ließ Jes lange genug herauskommen, um mir zu sagen, er wisse nicht, warum, und dann kehrte der Hüter zurück.«
»Warum sollte er so etwas tun?«
»Ich denke, wenn der Hüter mir gesagt hätte, dass er es nicht wisse, hätte er gelogen.«
»Der Hüter weiß Dinge, die Jes nicht weiß?« Seraph tastete nach Tiers Hand und drückte sie sehr fest, als sie sie fand. »Das ist nicht gut. Wenn Jes überleben soll, müssen er und der Hüter eins sein.« Das hatte ihr Vater jedenfalls ihrem Hüterbruder gesagt.
»Ich werde mit ihm reden«, sagte Tier, als ob Reden alle Probleme lösen könnte.
Seraph gestand sich zumindest zu, sich danach besser zu fühlen. Für Tier löste Reden wirklich viel mehr Probleme als für sie.
Tier bewegte sich und sie, bis ihr Kopf wieder an seiner Schulter lag, dann deckte er seine Frau gut zu.
Hennea liebte Jes. Seraph war ziemlich sicher, dass Jes dasselbe empfand, obwohl so etwas bei ihm manchmal schwer zu sagen war.
»Sie hat nie davon gesprochen, aber ich denke, sie hat vielleicht keinen anderen Platz, wohin sie gehen kann«, spekulierte
Seraph. »Ich weiß nicht, was Jes zu ihr gesagt hat, um sie dazu zu bringen, mit uns zu kommen, aber Lehr erwähnte, dass sie eigentlich mit Benroln gehen wollte. Ich weiß allerdings, was sie dazu bringen könnte zu bleiben.«
»Und das wäre?«
»Pflichtgefühl. Sie ist ein Rabe, Tier. Sie hat eine Verantwortung, die über Liebe und Familie hinausgeht. Irgendwo da draußen ist ein Schatten, der uns vernichten will, mein Liebster. Er wird dich
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