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Rabenzauber

Rabenzauber

Titel: Rabenzauber Kostenlos Bücher Online Lesen
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entziehen zu wollen. Seine rechte Hand streifte sachte ihre Brust und verharrte dann direkt über ihrem Nabel, als spüre er die kleine Kugel von Schmerz, Trauer und Zorn, die sie dort begraben hatte.
    »Ich tue dir weh«, sagte sie, aber sie konnte sich nicht dazu bringen, vor seiner Berührung zurückzuweichen. »Ich will dir nicht wehtun. Gib mir ein wenig Zeit, und ich werde …«
    »Es wieder begraben?«, grollte er leise an ihrem Ohr. »Ich glaube nicht, dass das klug wäre.« Er küsste ihr Ohr und dann ihren Hals und knabberte sanft an ihrer Haut, als er die Schnur löste, die den Halsausschnitt ihrer Bluse zusammenzog.
    Sie hätte geschworen, dass Leidenschaft ihr nichts Neues mehr beibringen konnte, doch unter Jes’ unerfahrener, aber
intuitiver Berührung stellte sie fest, dass das ein Irrtum gewesen war. Er hatte kaum begonnen, und schon zitterte sie, erfüllt von Angst, er könnte aufhören: aufhören, sie zu berühren, aufhören, mit dieser Samtstimme mit ihr zu sprechen … aufhören, sie zu lieben.
    »Bitte«, sagte sie nicht lauter als er. Bitte lass mich dir nicht wehtun. Bitte berühre mich. Bitte liebe mich. Sie erlaubte sich nicht, etwas davon laut auszusprechen.
    Er begegnete ihrem Blick und lächelte. Beide, Jes und der Hüter. »Mach dir nicht so viele Gedanken«, sagte er, bevor er die Reise fortsetzte, die er gerade erst begonnen hatte.
    Sein Mund folgte ihrem Hals bis zum Schlüsselbein, während seine Hände Hitze über die Biegung ihrer Wirbelsäule und dann über ihre Hüften ausbreiteten. Er hielt mit dem Mund über ihrem Nabel inne, lehnte den Kopf gegen das Ziehen von Kummer und Erinnerung, die seine Hand zuvor schon gefunden hatte.
    »So viel Qual«, sagte er. »Lass sie mich für dich lösen.« Er drückte die Stirn gegen ihren Körper, direkt unterhalb ihrer Rippen. Seine Wärme lockerte den alten Schmerz tatsächlich, und dann erleichterte die Kühle des Hüters das Ziehen.
    »Klammere dich nicht so an deinen Hass und deinen Schmerz«, sagte der Hüter und klang ebenso sanft wie Jes zuvor. »Ich teile meinen Zorn mit Jes, und er wird dadurch weniger. Einige Schmerzen brauchen das Tageslicht, Hennea, damit man sie zählen und dann loslassen kann.«
    Sie seufzte und spürte, wie die hässlichen Dinge, die sie so lange insgeheim mit sich herumgetragen und sogar vor sich selbst verborgen hatte, sich in dem Licht wanden, in das er sie gebracht hatte.
    »So viele sind tot«, sagte Jes, seine Stimme noch einen Hauch sanfter als die des Hüters. »Zu viele, um sie hierzubehalten.« Seine schwielige Hand streifte liebevoll die Haut über
ihrem Herzen. »Du hast sie geliebt, und sie liebten dich. Es würde ihnen wehtun zu wissen, dass sie dir solche Qual bereiten. Lass sie gehen.«
    »Du kannst meine Gedanken nicht lesen.« Es erschütterte sie, wie zutreffend seine Worte waren.
    »Nein«, erwiderte er. »Aber ich spüre, was du spürst, ich erinnere mich an die, die ich verloren habe, und der Schmerz ist der gleiche. Der Grund ist der gleiche.« Er lächelte an ihrer Wange; sie konnte sein Grübchen spüren. »Eigensucht.«
    »Eigensucht?« Das war ein Schlag für sie - wollte er ihr Leid banalisieren? Sie versuchte sich ihm zu entziehen.
    Er lachte tief in der Kehle und zog sie noch fester an sich. Die Vibration des leisen Lachens des Hüters berührte etwas tief in ihr, und sie gab erneut nach.
    »Eigensucht«, sagte er noch einmal. »Ich weiß nicht, wohin die Toten gehen.« Dann war es Jes, der lachte, was weniger wohlklingend, weniger schön war, aber viel freudiger. »Sie gehen davon und lassen ihre Körper zurück, das habe ich gesehen. Ich habe es gespürt . Sie gehen in Freude, Hennea, und Schmerz und Angst bleiben bei denen zurück, die um sie trauern. Bei dir und mir. Und bei diesem Schmerz geht es um uns selbst. Ich werde meine kleine Schwester Mehalla, die in dem Jahr starb, als Rinnie zur Welt kam, nie wiedersehen, und das macht mich traurig. Um meinetwillen. Ich trauere immer noch um sie, obwohl sie schon vor elf Jahren gestorben ist. Die Trauer macht mich nicht zu einem schlechten Menschen, aber sie ist eigensüchtig.« Er glitt an ihr herab, um ihren Bauch zu küssen, dann rieb er die Wange an ihr und blieb mit seinen Nachmittagsstoppeln an ihrem Hemd hängen.
    »Lass sie gehen«, sagte er. »Lass nicht zu, dass diese Tode dich weiterhin so quälen.«
    Er wartete, als lausche er nach etwas, das sie nicht hören
konnte. Seine Geduld und die Wärme seiner Arme - als wollte

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