Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rabenzauber

Rabenzauber

Titel: Rabenzauber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
davon, und durch einen anderen Eingang in den Hauptraum. Er blieb nicht stehen, als die Teppiche weißem Marmorboden wichen, sondern zog Hennea zum anderen Ende des Raums. Er packte ihre Schulter mit der freien Hand und brachte sie vor sich, sodass sie direkt vor der schwarzen Marmorstatue des Raben stand, die sich auf dem Podium des Tempels befand.
    Wie ihre Schwestergöttin, die Eule, war der Rabe nur in einen Rock mit einem Gürtel gekleidet, auf dessen Schnalle ihr Zeichen angebracht war, aber es gab an dieser Statue keine Farbe. Eine Hand ruhte an ihrer Seite, und auf der anderen,
zum Raum erhobenen, saß ein Rabe mit Rubinaugen. Im Kontrast zu dem fröhlichen Ausdruck der Eule war das Gesicht der Rabengöttin gelassen - rabenhaft.
    Ihre Züge waren die von Hennea.
    »Auf dem Gürtel steht Alhennea«, sagte der Hüter. Jes hätte den Gürtel nicht lesen können. »Hast du deinen Namen verkürzt, als du zu meiner Familie kamst? Warum bist du zu uns gekommen? Hast du dich gelangweilt? Wolltest du eine Weile mit den Leben von Sterblichen spielen?«
    Der Schock ließ sie wie erstarrt dastehen, dann sackte sie unter dem plötzlichen Gewicht der Erinnerungen, die Hinnum ihr vor langer Zeit gestohlen hatte, zu Boden. Sie prallte fest auf, und trüb wurde ihr bewusst, dass sie morgen blaue Flecke haben würde.
    Stärker als die Erinnerungen jedoch waren die dazugehörigen Gefühle.
    »Ich kenne dich überhaupt nicht«, fauchte er, und so üppig ihr eigenes Bankett der Verzweiflung auch sein mochte, sie hörte ihn dennoch, hörte die Qual unter dem Zorn in seiner Stimme. »Du hättest meinen Vater heilen können. Du hättest den Schatten in Taela töten und Phoran vor dem Memento retten können.« Er fuchtelte mit den Armen, und sie sah eine Spur von Jes in den Augen des Hüters. »Du hättest den Pfad zerstören können, schon bevor er entstand. Du hättest den Clan meiner Mutter retten können.«
    »Jes«, sagte sie heiser. »Ich bin nicht sie.«
    »Doch, das bist du«, widersprach er störrisch, und nun war es Jes, dem sie gegenüberstand. »Glaubst du, weil ich deine Gefühle nicht lesen muss , wenn ich dich berühre, dass ich es überhaupt nicht könnte? Ich habe gespürt, wie du diesen Ort wiedererkannt hast. Du kanntest ihn. Du bist sie.«
    Wieder wurde ihr Blick von der Statue angezogen. »Ich - ich glaube, ich war es einmal.«

    Wieder blickte sie Jes an und suchte nach Worten, die den mörderischen Schmerz in seinen Augen dämpfen würden. Er hörte zu, hörte sie, während der Hüter ihn nur vor ihr schützen wollte. Seraph hatte recht gehabt: Ihr Sohn war stark. Es gab nicht viele mit der Weisung des Adlers, die einem Hüter die Kontrolle entringen konnten.
    »Ich werde vor deinem Vater schwören, der immer noch Barde ist, dass ich bis vor einem Moment nicht wusste, wer ich war.« Sie hätte noch mehr gesagt, aber eine Erinnerung überwältigte sie. Sie schrie auf, ein schaudernder, unartikulierter Schrei, und beugte sich vor, bis sie mit der Stirn auf den Marmorboden schlug. Ein Teil von ihr spürte den Schmerz, aber das klare Bild eines roten Flecks, der sich auf dem bunten Rock der Eule ausbreitete, beanspruchte den größten Teil ihrer Aufmerksamkeit. Sie konnte den kühlen Griff des Messers beinahe spüren.
    Dann befand sie sich wieder in der Gegenwart, und Jes schmiegte sich an sie und zog sie auf seinen Schoß.
    »Ich habe dich nie verraten, Jes. Ich spiele nicht mit Menschen, die ich … mit Menschen, die ich liebe«, brachte sie heraus. »Ich habe diese Art von Macht nicht mehr, ich habe sie weggegeben.« Die Worte kamen schneller und schneller. »Wir nahmen meine Macht und teilten sie auf, sodass sie im Gleichgewicht mit der der anderen war. Es gab keinen Kriegsgott mehr, und so mussten die anderen Götter ebenfalls sterben. Ich musste für den Bann sorgen, der die Stadt opferte; niemand sonst wusste, wie sie es tun sollten. Aber ich hätte ebenfalls sterben sollen; Hinnum schwor, er würde mich umbringen, aber ich glaube, er hat es einfach nicht über sich gebracht. Stattdessen nahm er mir mein Gedächtnis.«
    Jes küsste sie auf die Stirn, und das war zu viel, denn sie wusste, dass ihre unbeherrschten Gefühle ihm wehtaten. Sie
wollte Jes nicht wehtun, konnte es nicht ertragen, ihm wehzutun.
    Sie riss sich von ihm los und taumelte von ihm weg. Ihre Nase lief, und ihr Gesicht war nass. Sie zog das Hemd hoch, wischte die Tränen ab, putzte sich die Nase und zog sich weiter von Jes zurück, bis sie

Weitere Kostenlose Bücher