Rabenzauber
bereits gekümmert«, sagte Phoran und legte die Gabel hin. »Du kannst das Pferd reiten, das mein Bewaffneter nehmen sollte.« Mit Avar an seiner Seite würde er keine Leibwache brauchen. »Ich fühle mich, als hätte ich das Schloss seit Monaten nicht mehr verlassen.« Erst nachdem er es ausgesprochen hatte, fiel ihm auf, dass das stimmte. Wann war er das letzte Mal draußen gewesen? O ja, zu Avars Geburtstag vor vier Monaten, als sie sich verkleidet und eine Kneipenrunde veranstaltet hatten.
»Ah.« Avar runzelte leicht die Stirn. »Beunruhigt Euch etwas?«
Phoran schüttelte den Kopf und stand auf. »Ich langweile mich nur. Erzähl mir von deiner neuen Kuriosität. Ein Reisender, sagtest du? Ist er ein Magier?«
Avar grinste. »Sind sie das nicht alle? Wenn ich ehrlich sein soll, glaube ich nicht, dass er auch nur einen einzigen Tropfen Reisendenblut hat. Er ist allerdings wirklich ein geschickter Heiler.«
Und als sie durch den Palast zum Stall gingen, berichtete Avar vergnügt über seine Reise und verhielt sich überhaupt nicht wie ein Mann, der einen anderen verachtete. Phoran fragte sich, ob er Avar verraten sollte, was sein Bruder gesagt hatte - und entschied sich dagegen. Nicht, weil er Angst hatte, Avar zu verletzen, sondern weil er nicht wollte, dass Avar wusste, wie sehr jemand Phoran verachtete.
Unter dem angenehmen Fluss von Avars Aufmerksamkeit begann Phoran das Debakel der vergangenen Nacht noch einmal zu überdenken. Es war Tradition, dass Leute ihre Herrscher nicht mochten - und er hatte wahrscheinlich falsch verstanden, was sie über seinen Onkel gesagt hatten. Sie hatten nicht behauptet, ihn selbst getötet zu haben, sondern nur, dass er getötet worden war. Und Phoran war zwar nicht unbedingt betrunken gewesen, aber auch nicht nüchtern. Es war leicht, in diesem Zustand etwas falsch zu verstehen.
Er entspannte sich und genoss die Gesellschaft seines Helden. Es war Wochen her, seit er Avars ungeteilte Aufmerksamkeit genossen hatte. Seine Zufriedenheit wurde allerdings ein wenig erschüttert, als man ihm seinen Hengst brachte.
Phoran hatte reiten gelernt, sobald er laufen konnte, aber nun musste er auf einen Klotz steigen, um in den Sattel zu kommen.
Fett - das zumindest stimmt, dachte er errötend, als ihm die Stallknechte, die ihn seit seiner Kindheit kannten, kaum in die Augen sehen konnten. Zumindest hatten sie ihm seinen eigenen
Hengst gegeben, der mit der üblichen Wut auf das Gewicht eines Reiters reagierte - vielleicht sogar ein wenig heftiger, weil er so viele Monate nicht geritten worden war.
Als Klinge schließlich aufhörte zu schnauben und zu stampfen, war Phoran müde und ziemlich sicher, dass er sich am Rücken einen Muskel gezerrt hatte, aber er fühlte sich auch absolut siegreich. Nicht jeder hätte auf einem solchen Tier bleiben können, und ihm war es gelungen. Der Hengst schnaubte und beruhigte sich, als hätte es die vorherigen dramatischen Szenen nie gegeben.
»Gut geritten, mein Kaiser«, murmelte Avar mit genau dem richtigen Maß an Bewunderung, damit das Kompliment nicht übertrieben wirkte.
Phoran sah, wie die Mienen der Stallknechte sich von Anerkennung zu klammheimlicher Verachtung wandelten. Hat Avar das absichtlich getan?, dachte der kleine Teil von Phoran, der sich immer noch unter Toarsens harschen Worten wand.
Avar musste sich an diesem Abend um ein paar Dinge kümmern, und Phoran verkniff es sich, ihn zu bitten, dennoch zu bleiben. Der Ritt hatte ihn an seinen Onkel erinnert, der ihm das Reiten beigebracht hatte. Sein Onkel, der von dem Mann, zu dem Phoran herangewachsen war, enttäuscht gewesen wäre.
»Du hast Hirn, Junge«, hatte sein Onkel immer gesagt. »Kaiser oder nicht: Nutze es.«
Also war Phoran, als es in seinen Gemächern dunkel wurde und die Flammen zu glühender Holzkohle niederbrannten, wieder allein, als das Memento kam.
Es war höher gewachsen als ein Mensch und blieb einen Schritt vor ihm stehen. Wahrscheinlich, dachte Phoran, auch wenn ihm das nicht viel gegen sein Entsetzen half, war es verblüfft, dass er nicht wie so oft zuvor betrunken war oder in einer Ecke saß und jammerte.
Es sah irgendwie verschwommen aus, als könnte ein Menschenauge sich nicht so recht darauf konzentrieren, was es denn nun war - obwohl es an diesem Abend irgendwie wirklicher schien als zuvor.
Das Zögern des Memento - wenn es denn wirklich gezögert hatte - dauerte nicht lange. Zum ersten Mal blieb Phoran ruhig stehen, als es ihn mit seiner
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