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Rabinovici, Doron

Rabinovici, Doron

Titel: Rabinovici, Doron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anderrnorts
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gemeinsame
Identität. An nichts anderes dachte er, wenn sie von Dov sprach, wenn sie, die
von seinem verstorbenen Freund nichts kannte als die Stimme auf einem Tonband,
meinte, in ihm alle anderen alten Juden von Tel Aviv über Netania bis
Jerusalem wiederentdecken zu können. Die Sehnsucht nach Heimat war es, die sie
ihm zugetrieben hatte, und das machte ihn mißtrauisch. In Israel wäre er einer
von vielen gewesen, aber hier war er plötzlich zum Sabre, zum zionistischen
Vorposten, mutiert. Diese Frau mochte ihn nur seines Geburtsortes wegen. Und
war sie überhaupt verliebt in ihn? Nahm sie nicht eher bloß vorlieb mit ihm,
weil er unter lauter Älplern einer der wenigen Repräsentanten biblischer
Auserwähltheit und noch dazu israelischer Staatsbürger war? Wer sich wirklich
in einen anderen verliebte, hatte keine Wahl, sondern wußte sich bestimmt. Er
war aber nur die Verneinung ihrer früheren Ehe. Sie wollte zurückkehren, und er
war das Ticket in ihr persönliches Altneuland. Sie träumte von Familie, von
ihrer alten und von einer neuen. Mit einem Wort: Kindereien ohne Ende. Aber
eignete er sich, der schon die eigene Verwandtschaft kaum aushielt, als
Stammhalter einer orientalischen Sippe, eines Clans, einer Chamullah? Wenn sie
jetzt von Heimkehr sprach, dann hoffte sie darauf, mit ihm heimisch zu werden.
So redeten Leute, die sich nach einem Zuhause sehnten, so traut, wie es nie
war, und so wonniglich, wie sie es nie ertragen könnten. Aber vielleicht konnte
er nur nicht fassen, gemeint zu sein. Nicht von einer wie ihr. Er wagte nicht
an sein Glück zu glauben. Er konnte sich nicht erinnern, jemals ähnliches gefühlt
zu haben. Waren sie beieinander, so brauchte es keine Worte. Wenn er ihrer
Stimme lauschte, wurde es in ihm ruhiger. Alles an ihr war unerhört und
vertraut zugleich. Ihre Sätze, ihre Sprachmelodie, ihr Witz.
    Er war überzeugt, daß er nur
ihr Knie, ihren Knöchel, ihren Daumen sehen müßte, um sie unter Tausenden ausfindig
zu machen. Sie roch nach dunklem Harz. Auch wenn er sie nicht spürte, wußte er,
wie sie sich anfühlte. Die seidige Festigkeit ihrer Haut. Mit geschlossenen Augen
und durch bloße Berührung hätte er unter Unzähligen sagen können, welche Hand
die ihre war.
    Sie riefen einander zugleich
an. Ehe es klingelte, hob er ab. Wollte er ihr eine SMS schreiben, piepste
schon sein Mobiltelefon. Er fürchtete, von ihr verlassen zu werden, aber
ebenso, vor ihr nicht zu bestehen. Ohne sie war da Leere, und Überfülle, wenn
sie den Raum betrat. Er sagte: »Besser, wir sehen einander nicht zu oft, sonst
hast du mich bald über.« Sie drängte ihn nicht. Sie empfand seine Ängste nicht
als Beleidigung oder Zurückweisung. Im Gegenteil, seine Scheu rührte sie. Sie
wunderte sich nicht, als er auf ihren Traum von Altneuland nicht einging,
sondern bloß sagte: »Auf dem Kuvert, in dem das Tonband von Dov verpackt war,
muß ein Stempel sein. Wann wurde es abgeschickt?«
    Noa meinte: »Kennst du nicht
die israelische Post, Johann Rossauer? Bis da ein Brief zugestellt wird, kann
einer zugrunde gehen.«
    Das ganze Land bringe einen
um, antwortete er. Er begreife nicht, was sie dorthin zurückziehe.
    Sie sei ihres Exmannes wegen nach
Österreich gekommen. Jetzt halte sie nichts mehr. Wolle er denn für immer den
professionellen Ahasver spielen, den Blendling der Wissenschaft, den
Spezialisten für hybride Lebensformen?
    Er suchte nach dem Umschlag.
»Der Brief wurde nach dem Begräbnis aufgegeben. Es ist, als lebte Dov noch.«
    Sie sah ihn an: »Du bist doch
kein Zehnjähriger mehr. Hitler ist tot, Dov Zedek auch.«
     
    Für mich muß kein Kaddisch
gesprochen werden. Ich bin seit langem ein Untoter. An manchen Tagen schaue ich
in den Spiegel, Ethan, und ich sehe mich verwest, blicke in das Gesicht einet
Leiche, erschrecke vor der Blässe meines Fleisches, rieche den fauligen Geruch,
der aus meinem Mund strömt, und dann weiß ich es wieder: In mir gärt ein Gift.
Glaube mir, Ethan, würdest du von meinem Herzen kosten, müßtest du sterben.
Hörst du? Mein Ablaufdatum ist überschritten. Ich bin ein Übriggebliebener,
der nicht nur die Eltern, den Bruder und die Schwester samt Schwager, die
Neffen und Nichten, die Tanten und Onkel überlebte, nicht nur die Mörder und
ihre Verbrechen, nein, mich selbst überlebte ich.
    Früher spürte ich nichts von
dem, was mich innerlich langsam zerfraß. Ich sah mich nicht als Opfer, war kein
Vertriebener. Eine Welt hatte ich erobert. Einen Staat

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