Rabinovici, Doron
ihrem Schweif.« Wir ließen sie reden. Und zur Gaudi der
anderen schrie ich ihr ins Ohr: »Ich kann also zum Glück keiner von diesen
Juden sein?« Worauf sie eindringlich auf meine Beine blickte, dann auf meinen
Hintern und schließlich heftig den Kopf schüttelte.
Mich, Dov Zedek, den Israeli,
kratzte nicht, was irgendeine Oma in Spanien daherplapperte. Die Großeltern Gerechter
hätten wohl noch erschrocken nachgeschaut, um sich zu vergewissern, daß ihnen
kein Klumpfuß gewach sen war. Wir lachten, als es hieß, wir hätten einen
langen Schwanz am Arsch. »Nein, dort hinten ist der nicht, Senora«, spotteten
wir.
Aber seit einiger Zeit ist
mir, als hinge mir irgend etwas nach. Manche Menschen kommen mit Kiemen auf
die Welt, andere mit dem Rest eines Schweifs, einem verlängerten Steißbein.
Auch bei mir meldet sich, was überwunden schien, wieder. Der Jugendliche, der
ich einst war, steht mir morgens als Leiche im Spiegel gegenüber. Unversehens
spüre ich, wie er von mir Besitz ergreift. Ich merke, daß ich in den Augen der
anderen nicht mehr Dov Zedek bin, ein Pionier, ein Kämpfer, sondern der
Flüchtling, kein Held, sondern das Opfer, und allmählich taucht Adolf
Gerechter, der Judenjunge aus Wien, in mir auf. Nach Jahrzehnten, die ich in
der Wüste, unter Dattelpalmen, als Kibbuznik und in der israelischen Politik
verbracht habe, schleicht er sich ein, der Vertriebene, der ich doch gar nicht
gewesen sein wollte — und er verdrängt mich.
Ich zeige mich den Kindern
jener, die einst meinen Tod wollten. Sie schauen auf meine Beine und meinen
Arsch — und weißt du was? — sie sehen den Klumpfuß, sie entdecken den Schweif
und die Satanshörner an meinem Kopf. Sie deuten darauf, aber anders als ihre
Vorfahren ekeln sie sich nicht davor und hetzen dagegen, sondern raunen
ehrfurchtsvoll. Sie rufen nach Adolf Gerechter und nicht nach Mord. Sie
verbeugen sich tief vor mir, als wollten sie den Klotz an meinem Bein küssen.
Diese Sprößlinge christlichen
Glaubens verehren mich wie einen Märtyrer. Für sie macht mich kein Fluch zum
wandernden Ahasver und Handelsreisenden der Erinnerung, sondern ein Wunder.
Sie zelebrieren meine Wandlung als zentrales Ritual einer Messe. Mein Leid ist
für sie keine Schmach, sondern eine Passionsgeschichte. Ich wollte, ich könnte
mich ihnen entziehen. Aber es ist Adolf Gerechter, der nicht nein sagen kann,
wenn ich zum Gedenken gebeten werde. Er ist es, der mich jede Theatervorstellung,
jede Lesung, jeden Film zu diesem Thema zu besuchen nötigt. Er ist es, der mich
von einer Klasse zur anderen laufen und Jugendliche nach Auschwitz begleiten
läßt. Er ist stärker als ich, als Dov Zedek. Könnte ich, so würde ich Adolf
Gerechter wieder umbringen, ehe er nichts von Dov Zedek übrigläßt. Mich
ermorden, um mich zu retten, das wäre die Lösung.
Hör zu, Ethan: Zuweilen nehme
ich mir vor, so zu tun, als würde ich sterben, um unter einem dritten Namen und
auf einem fernen Kontinent meine letzten Jahre zu genießen. Ich träume davon,
Dov Zedek und Adolf Gerechter beim Schwimmen ertrinken zu lassen oder sie auf
einer gemeinsamen Kreuzfahrt über Bord zu werfen. Ich würde verschwinden und
andernorts auftauchen. Verstehst du? Um weiterleben zu können. Ein stiller
Abschied ohne Bestattung. Meinetwegen brauchte es kein Grab und keine
Trauerreden. Für mich muß kein Kaddisch gesprochen werden.
Das wachse sich aus, sagte
Wilhelm Marker. Der Institutsvorsitzende hatte Ethan in sein Büro gebeten. Es
gehe nicht um seine Qualifikation. Niemand zweifle an seiner Kompetenz, aber
manche äußerten plötzlich Einwände. Seit jenem Kommentar werde über seine
Forderungen gesprochen, über seine Gehaltsvorstellungen, immerhin deutlich über
dem Niveau dessen, was am Institut sonst bezahlt werde. Es nütze nichts, darauf
hinzuweisen, was ohnehin alle wüßten, daß er an anderen Universitäten noch mehr
verdienen könnte. Die Stimmung sei eben umgeschlagen. Nun heiße es plötzlich, die
Professur in Tel Aviv sei schlecht vereinbar mit einer Stelle hier in Wien.
»Ich halte dort nur ein
Blockseminar.«
»Es sind lächerliche
Sticheleien. Die Attacken zielen gar nicht so sehr auf dich. Letztlich geht es
um meine Position als Institutsvorstand.« Marker beugte sich vor. »Versöhn dich
mit ihm, Ethan! Schaff es aus der Welt! Hörst du? Sonst werden wir ihn nicht
los. Verfasse einen offenen Brief. Erkläre darin, du hättest dein Zitat zwar
wiedererkannt, ihn aber zwingen wollen,
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