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Rabinovici, Doron

Rabinovici, Doron

Titel: Rabinovici, Doron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anderrnorts
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jedenfalls um die, die
er von mir hat.«
    »Was fehlt ihm denn?«
    Er hörte bloß ihr Seufzen und
dann: »Ich weiß nicht, was ich von diesen Ärzten halten soll.« Felix liege seit
gestern im Spital. Sein Körper berste. Der Kreislauf spiele verrückt. Flach
und kurz sei der Atem, als hätte er, der im Bett liege, an einem Dauerlauf
teilgenommen. »Steht er auf, schwindelt ihm. Will er auf die Toilette, braucht
er meine Hilfe.«
    »Was schleppst du ihn aufs
Klo? Sollen sie ihm doch eine Pfanne unter den Hintern schieben.«
    »Steck dir doch selbst einen
Topf dorthin. Dein Tuches ist weit weg. Was weißt du? Du sitzt weich und
brüllst deine Mutter an.«
    »Bitte, ich bin schon ganz
still.«
    »Meinst du, ich veranstalte
mit ihm einen Parcours durch die Intensivstation? Wo lebst du? Abba krümmt sich
vor Schmerzen. Er sagt, es schneidet ihm den Rücken entzwei.«
    Felix Rosen war dafür bekannt,
sich nicht unterkriegen zu lassen. Er hatte den Hunger und die Lager überstanden
und war noch während der Dialyse und nach der Transplantation so höflich und
still geblieben, daß viele Krankenschwestern von diesem älteren Herrn mit
seinem feinen Humor schwärmten. Dankbar hatte er alle Prozeduren und Behandlungen
über sich ergehen lassen. Alte Kameraden erzählten immer noch, wie der Vater
nach seiner Verwundung im Befreiungskrieg weitergekämpft, wie er dem
Angeschossenen, der leichter verletzt gewesen war, Mut zugesprochen und sich
das von Granatsplittern durchsiebte Bein selbst abgebunden hatte. Felix Rosen
habe die Stellung gehalten, bis sie beide abgelöst und ins Lazarett gebracht
werden konnten. Stolz könne der Sohn sein. Ein Held, ein Kämpfer, und nun
wimmerte er, als liege er in den Wehen.
    Die Mutter sagte: »Du kannst
hier gar nichts ausrichten. Es ist besser, wenn du jetzt nicht kommst. Abba würde
denken, er läge schon im Sterben. Ein Anruf genügt.«
    Nachdem er aufgelegt hatte,
fragte Noa, wie es denn um seinen Vater stehe, und er erzählte, während sie die
Decke hochzog und sich an ihn schmiegte, von den Schmerzen und dem
Bluthochdruck, und als sie näher rückte, schmückte er die Krankengeschichte
noch um einiges greller aus.
    Er müsse unbedingt nach Tel
Aviv, stellte sie fest. Unverzüglich. Er dürfe keine Zeit verlieren.
    Seine Mutter habe davon
abgeraten, um seinen Vater nicht zu beunruhigen.
    »Unsinn. Dann hat sie eben
abgeraten. Es bleibt deine Entscheidung. Nichts ist wichtiger, als den Eltern
in einer solchen Situation beizustehen. Du mußt fahren. Ich werde dich
begleiten.«
    Er rückte ab. »Du planst wohl
die gemeinsame Heimkehr? Was schwebt dir vor? Ich bewerbe mich hier gerade um
eine Stelle. Ich kann unmöglich weg.«
     
    Für mich muß kein Kaddisch
gesprochen werden. Hörst du, Ethan? Nicht nur, weil mein Vater bereits um mich
weinte. Nicht einmal, weil keiner aus meiner Familie mehr da ist, der mich
begraben könnte.
    In den letzten Jahren wurde
ich bereits ohne Ende betrauert. Sie laden mich ein, damit ich den Überlebenden
spiele. Ich trete als Zeitzeuge auf. Ich bin der letzte Mohikaner. Ich werde
angeschaut wie das übriggebliebene Exemplar einer ausgestorbenen Art. Um mich
das Getuschel, denn so etwas wie mich sollte es doch gar nicht mehr geben. Dann
die Bitte, ich möge einige Sätze sprechen, und jedes meiner Worte klingt
daraufhin wie ein letztes, wie ein Abschied, ja, wie eine Nachricht aus dem Jenseits.
Ich kann mich dieser Veranstaltungen, Rituale und Schulauftritte nicht
erwehren. Ich rede, und Kinder werden zu Erwachsenen, Erwachsene zu Kindern. Ich
erzähle. Es war einmal, da lebten viele Juden, und wenn sie nicht gestorben
sind, so wurden sie umgebracht.
    Ich spreche von der Schmach,
die mich einholt. Ich gebe Bericht. Ich hetze von einem Event zum anderen, als
ginge es wieder um mein nacktes Leben. Was den Mördern mit ihrem Haß nicht
gelang, schaffen ihre Kinder und Kindeskinder in ihrer Güte. Es ist ein Fluch.
Ich werde zum Flüchtling. Die Toten sind mir auf den Fersen. Ich bin dazu
verdammt, den Ewigen Juden zu geben.
    Es war in den Siebzigern, da
fuhr ich mit Freunden nach Segovia. Am Nachmittag flanierten wir durch die
Altstadt. Wir fragten die Einheimischen, ob irgend jemand noch wisse von den
Juden, die vor einem halben Jahrtausend in ebendiesen Gassen gelebt hatten.
Eine rief nach ihrer Abuela, bis eine runzlige Person am Stock heranhumpelte,
die sagte: »Ich selbst habe keine mehr gesehen. Juden sind leicht zu erkennen —
an dem Klumpfuß und an

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