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Rabinovici, Doron

Rabinovici, Doron

Titel: Rabinovici, Doron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anderrnorts
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mitbegründet. Eine neue
Gesellschaft aufgebaut. Adolf Gerechter war nicht mehr, und ich selbst, Dov
Zedek, hatte ihn überwunden und ausgelöscht. Umgebracht.
    Der letzte Tag in Wien. Ich
war zu einem Herrenausstatter in der Innenstadt flaniert. »Ich gehe auf
Reisen. Möchte mich komplett neu einkleiden. Zeigen Sie mir, was Sie haben.
Modern, aber gediegen. Fünf Hemden, drei Krawatten, zwei Anzüge, einen Hut,
einen Mantel.« Ja, ich sagte: »Ich gehe auf Reisen.« Der Chef persönlich hat
sich um mich gekümmert. »Aber gewiß, gnädiger Herr! Bitte gern, bitte sehr!«
Ich lasse mir alles präsentieren. Bin wählerisch. Halte Hosen vor den Körper.
Streife Sakkos über, betrachte mich dabei im Spiegel. Den Mantel will ich im
Tageslicht anschauen und bin bereits auf halbem Weg hinaus, da sehe ich auf der
Straße einen Nachbarn vorbeigehen, einen Nazi der ersten Stunde. Ich mache
schnell kehrt, verschwinde in der Umkleidekabine, ziehe den Vorhang hinter mir
zu, atme durch. Draußen bleibt es still.
    Also probiere ich weiter,
langsam ein Stück nach dem anderen. Nur nichts anmerken lassen. Verstehst du?
Was nicht paßt, schicke ich zurück. Was mir gefällt, lasse ich zum Ladentisch
bringen. Endlich bin ich fertig. Ich gehe zur Kasse. Dort wickelt eine
Verkäuferin alles in himmelblaues Seidenpapier. Ich zücke meine Brieftasche
und frage wie beiläufig: »Nur eine letzte Frage. Hier wird doch nur an Arier
verkauft?« Da lächelt der Chef und weist mit einer leichten Handbewegung zur
Auslage, auf das Schild Wir verkaufen nicht an Juden! »Keine Angst. Das ist ein rein
deutsches Geschäft.«
    Ich stecke das Geld ein: »Wenn
das so ist ... Da kann man wohl nichts machen« und lasse den Besitzer stehen.
Du hättest ihn sehen sollen. Sein Lächeln zerrann, aber ich, ohne ihn eines
weiteren Blickes zu würdigen, verschwand. Ich war es gewesen, der gegangen
war, und nicht aus Angst, sondern aus Trotz. Verstehst du?
    Am nächsten Tag die Abfahrt.
Ein illegaler Transport. Ohne Visum nach Palästina. Die Briten hatten die jüdische
Zuwanderung längst gestoppt. Zu Hause verabschiedete ich mich von den Eltern.
Niemand sprach vom Wiedersehen. Am Bahnhof der jüdische Appell, unter den Augen
von Uniformierten und Zivilbeamten, Gestapo. Deren Blick hättest du sehen
sollen: Jungjuden in Habtachtstellung. Mitten im Naziwien unsere Kommandos in
Hebräisch. Die kurze Rede des kleinen Anführers. Die Reise sei keine Flucht,
sondern eine Heimkehr. Dann Schweigen, und plötzlich ein Mädchen. Sie begann zu
singen, die Hymne, Hatikva, mit dünner, aber schöner Stimme, das Lied von der
ewigen Sehnsucht nach Zion, von der Hoffnung auf einen eigenen Staat, und
umkreist von SS-Männern in voller Montur und von Polizisten in Zivil fielen
andere ein, die Melodie machte die Runde, bis der Chor durch die Halle dröhnte.
    Wir liefen in die Falle.
Geradewegs. Das Schiff, bezahlt, um uns übers Meer zu schmuggeln, lag nicht im
Hafen. Wir warteten. Wochenlang. Die Papiere wurden ungültig, und wir wußten,
die Mörder kamen näher. Ich entschloß mich zu handeln. Auf eigene Faust. Ich
brach auf. Unter falschem Namen.
    Dann das Gerücht von meinem
Tod. Es erreichte Wien. Es heißt, mein Vater, der einstige Chefredakteur
Heinrich Gerechter, sei mit zerrissenem Gewand und leerem Blick durch die
Straßen der Stadt gegeistert. Er habe Ausschau gehalten nach mir, seinem Sohn.
Jeden habe er nach mir gefragt. Meine Mutter. Früher hatte sie Künstler,
Schriftsteller und Intellektuelle zu Konzerten, Lesungen oder Diskussionen in
den Salon unseres Hauses geladen. Jetzt soll sie das Zimmer, in dem meine
Eltern und meine Geschwister zusammengepfercht lebten, nicht mehr verlassen
und mit niemandem mehr geredet haben.
    Der Bruder, die Schwester, die
ganze Familie soll in jenen Tagen nach Adolf Gerechter geforscht haben. Aber
längst nannte ich mich anders. Es heißt, mein Vater sei im Novemberpogrom
aufgegriffen worden, ein alter verwirrter Mann. Mitten im Morden hat er jeden
nach seinem Sohn gefragt. Er wurde zusammengeschlagen und festgenommen, dann
nach Dachau geschickt. Noch im Zug soll er jedem meinen Namen genannt haben. Ob
irgendwer wisse, was mit mir sei.
    Wer, sag mir, wer wird je
verzweifelter um mich weinen als mein Vater? Nein, Ethan, für mich muß kein
Kaddisch gesprochen werden.
     
    Er war zusammengebrochen.
Letztlich war nicht klar, was geschehen war. Seine Mutter sagte: »Vielleicht
geht es gar nicht um meine, ich meine, um seine Niere,

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