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Rabinovici, Doron

Rabinovici, Doron

Titel: Rabinovici, Doron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anderrnorts
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Aber nie
griff er später wieder zu einer seiner Kassetten. Sie verstaubten im Regal. Und
in Wahrheit brauchte er sie auch nicht. Er wußte, wer was gesagt hatte, wußte,
wer was sagen würde, ehe es ausgesprochen war. Er hätte dir erklären können,
was du in einer Minute von dir geben würdest. Und das Schlimmste war, er irrte
nie. Er stellte dich zur Rede, sagte etwa unvermittelt: Was die Frage angeht,
die du mir gleich stellen wirst - und dann folgte jenes Thema, das mich im
selben Augenblick, da er davon redete, zu interessieren begann — laß dir gesagt
sein, Ethan. So ging das. Seine eigenen Vorträge hielt er hingegen nicht auf
Band fest. Von sich hob er gar nichts auf. Er hielt eine Ansprache unter dem
Titel Niemals
vergessen! -
und kaum war das letzte Wort verklungen, warf er das Papier weg. Er forderte,
die Erinnerung zu bewahren, und löschte alle Spuren. Wozu also diese Aufnahme?
Weshalb ist er plötzlich von seinen Gewohnheiten abgewichen?« Er öffnete das
Kassettenfach. Ȇbrigens steht auf dem Etikett kein Datum. Er nennt auch keinen
Tag und keinen Monat. Ich höre seine Stimme, als stünde er neben mir. In
dieser Woche schaufelte ich Erde auf ihn und jetzt ... Grüße aus der Gruft. Und
wozu das Gerede vom Kaddisch, von meinem damaligen Artikel?« Das Kläffen des
Hundes ging in ein Jaulen über.
    Sie sagte: »Seine Stimme
klingt vertraut. So nah. Einer von diesen Alten - in Tel Aviv oder Netania.«
    »Jerusalem«, sagte er.
    »Soll sein Jerusalem. Es gibt
nicht mehr viele von ihnen.«
    »Keiner war wie Dov«, sagte
er. »Keiner.«
    Sie denke an das Land. Sie
spiele mit dem Gedanken zurückzukehren.
    Er sah sie nicht an. Er hatte
von Anfang an geahnt, daß alles, was er in den letzten Tagen erlebt hatte, zu
schön war, um wahr zu sein. Nie hätte sie früher, als sie Israel verlassen
hatte, einen wie ihn beachtet. Er sagte: »Ich wäre da nie zum Zug gekommen.«
    »Du sowieso nicht. Aber Johann
Rossauer.« Sie strich mit ihrem Fuß über sein Schienbein, und ihm war, als
schwinge eine Saite in ihm, als stimme sie ihn auf sich ein.
    Später fand er sich im Zweifel
wieder. Er mißtraute ihr nicht, aber fürchtete, sie irre sich in ihm. Je besser
sie ihm gefiel, um so unsicherer war er sich seiner selbst. Nichts verstand er
von ihrer Arbeit und ihrem Beruf. Er stand staunend vor ihren Entwürfen. Für
ein Hochhaus, das in Barcelona erst entstehen sollte, entwickelte sie eine
Wandstruktur. Eine Berliner Zeitung versuchte einen Relaunch, und Noa sollte
neue Schrifttypen entwerfen. Was hatte das mit ihm, was mit seinen Vorträgen,
seinen Seminaren, mit seiner Forschung zu tun? Was mit den Arbeiten, die er
verbessern, den Prüfungen, die er abhalten, den Zeugnissen, die er ausstellen
mußte? Nichts. Und all die Intrigen und Kommissionssitzungen an den Universitäten.
Ihr Leben kam ihm daneben ungebunden und frei vor.
    Eines Tages fragte sie ihn, ob
er sie begleiten wolle. Sie lege um Mitternacht in einer Bar Platten auf. Vor
Jahren hatte sie das regelmäßig gemacht, unter dem Namen DJane Bat Schlemil.
Nun trat sie nur mehr ganz selten auf, wenn Freunde aus der Musikszene sie
darum baten. Ethan war von ihrer Fingerfertigkeit überrascht. Sie mischte Retro
Pop, Deep Soul, Funk und Fusion, aber ebenso Electric Oriental und
Balkan-Rhythmen, spielte nicht einfach nur einzelne Songs ab, sondern beherrschte
den Plattenspieler, wirbelte eine Scheibe zurück, um die zweite loszulassen,
drehte die erste, dann wieder die andere, bis ein neuer Rhythmus entstand,
wobei sie die Nummern bruchlos ineinanderfließen ließ. Ethan schaute zu, wie
sie nebenbei tanzte, als wäre das, was sie machte, das Einfachste der Welt,
und wieder fühlte er sich ihr nah und fern zugleich, weil er nicht verstand,
was diese Frau, die ihm wie aus einem anderen Universum schien, an ihm fand.
    Als er sah, wie sie sich zu den
Takten bewegte, glaubte er zu begreifen, wieso sie sich damals von ihrem Exmann
hatte bezaubern lassen. Sie hatte sich mit einem Tiroler verschworen, um mit
ihm gemeinsam gegen den Fluch der Abstammung, gegen die Vergangenheit zu
rebellieren. Und auch, um der Enge des Geburtslandes zu entkommen.
    Aber Wien und Osterreich waren
nicht gerade der Inbegriff von weiter Welt und Offenheit. Ausgerechnet hier
die Last von Geschichte und Herkunft abstreifen zu wollen war von Anfang an
zum Scheitern verurteilt gewesen. Was suchte sie jetzt in ihm? Er hegte den
Verdacht, sie habe sich weniger in ihn verliebt als in die

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