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Rabinovici, Doron

Rabinovici, Doron

Titel: Rabinovici, Doron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anderrnorts
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hatten. Für
seine Frau war ihm keine Mühe zu groß. Ebenso umsorgte er Ethan. Er rannte zu
Lehrern, bestürmte sie seinem Sohn zuliebe, flehte sie an, den Buben, der
während des Jahres mit den Eltern umgezogen war und nun in Paris oder New York
eingeschult werden mußte, in die Klasse aufzunehmen. Der Junge müsse erst die
Sprache neu erlernen ... »Leider, wir können Französisch und Englisch ja selber
nicht viel besser, Herr Professor.« Er liebte es, sich für die Seinen zu
zerreißen.
    Zu seinem dreizehnten
Geburtstag wünschte sich Ethan einen ganz bestimmten Kassettenrecorder.
Monatelang studierte er Prospekte. Er vertiefte sich in die Magazine,
fachsimpelte mit Freunden. Er wußte genau, was er wollte. Sein Vater ging mit
ihm ins Geschäft, ließ sich das modische Gerät zeigen und fragte den Verkäufer,
ob er kein besseres habe. Na ja, so der Händler, da hinten gebe es ein teureres,
ein hochwertigeres. Etwas für Spezialisten. Der Vater wollte seinem Herzstück
einen besonderen Apparat schenken. War der Sohn denn nicht sein Goldkind? Für Ethan,
für diese Entschädigung aller familiären Verluste, für den eigentlichen Grund
seines Lebens und seines Überlebenskampfes, den er auch in diesem Laden, vor
der Konzerthalle, an der Theaterkasse, im Kino und am Elternsprechtag
weiterführte, war ihm nichts zu teuer, und so hatte Ethan gar keine Chance zu
widersprechen. Er bekam, was er gar nicht wollte, denn der Bub wurde so sehr
geliebt und mußte so glücklich gemacht werden, daß auf seine Wünsche gar keine
Rücksicht genommen werden konnte. Ethan war klein, aber die Zuwendung groß.
Der Recorder war so kompliziert, daß er damit nicht zurechtkam. Die
Klassenkollegen schüttelten den Kopf. Sie konnten sich nicht entscheiden, ob
sie Ethan beneiden oder bemitleiden sollten.
    Aber wer hätte Felix Rosen
vorwerfen können, wie erbarmungslos er sein Kind bemutterte? Alle sahen, daß
er die Familie mit seiner Liebe umzingelte. Jeder war von seiner väterlichen
Opferbereitschaft überwältigt. Ethan wurde nicht von einer jiddischen Marne
umhegt, sondern von zweien.
    Außer Haus war Felix nur ein
Geschäftsmann, der dafür gerühmt wurde, die unmöglichsten Waren auftreiben und
unter die Leute bringen zu können. Eulen nach Athen? Tee nach Peking? Uhren in
den Jura? Solche Aufgaben waren kein Problem für ihn. Zu jener Zeit, in den
sechziger Jahren, mußte man die Dame vom Amt anrufen, um Überseegespräche zu
führen. Der Ostblock mit Eisernem Vorhang reichte dicht an Wien heran, während
in Griechenland, Spanien und Portugal die Militärs herrschten. An den
innereuropäischen Grenzen wurde Zoll eingehoben, und jeder Kleinstaat verfügte
über eine eigene Währung. Wer eilige Nachrichten übermitteln wollte, suchte das
Telegrafenamt auf. Damals existierten noch kein Fax, kein Internet und kein
Mobilfunk. Es gab nur Felix Rosen, und wenn keiner wußte, wohin der Überschuß
an Unterwäsche in Bulgarien gehen sollte, wie Strumpfhosen in Lagos an die Frau
gebracht werden sollten, wer Lakritzen aus Ostdeutschland brauchte, was mit den
Schuhen aus Prag geschehen würde, sprang Felix Rosen ein, sprang er los,
knüpfte Verbindungen kreuz und quer durch die ganze Welt, und dann verschiffte
er Nähmaschinen aus Hongkong nach Prag, von wo er Kinderspielzeug nach London
lieferte, mit dessen Verkaufserlös er Bananen aus Panama besorgte, die er
gegen sowjetischen Nickel tauschte, um das Metall einem japanischen
Unternehmen zukommen zu lassen, das ihm wiederum genug bezahlte, damit er jene
Apparaturen aus Hongkong finanzieren konnte, mit denen das Profitkarussell
begonnen hatte. Dieses Ringelspiel war sein Sport, und meistens liefen mehrere
solcher unübersichtlichen Transaktionen gleichzeitig. Kommunikationsschwierigkeiten
kannte Felix Rosen nicht. Er verstand alle Wörter in jeder Sprache, er wußte
bloß nicht, was sie bedeuteten. Aber das war auch nicht notwendig, denn er
begriff, was sein Gegenüber meinte, ehe es gesagt war. Niemand konnte ihn übers
Ohr hauen. Er baute auf Vertrauen und baute Vertrauen auf, auch dort, wo er
nichts über die Herkunft der Waren verriet. Sogar wenn er bis zum Äußersten
ging, seine Partner unter Druck setzte und den Preis hart aushandelte, wurde er
geachtet und respektiert. Seine Partner liebten es, mit ihm Geschäfte zu
machen, selbst wenn durchschien, daß er sie ein wenig über den Tisch gezogen
hatte, denn er trieb es nie zu weit, zeigte Verständnis für ihre Probleme und
war

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