Rabinovici, Doron
nichts als Chaos, zwar seien die Ärzte
angesehene Spezialisten, der Professor gelte als Koryphäe, das Pflegepersonal
bemühe sich sehr, aber der Betrieb sei ein Moloch, und wenn Mutter nicht nach dem
Rechten schaute oder er selbst das Ganze nicht in die Hand nehme, würde
überhaupt nichts weitergehen. »Bei der Transplantation, Ethan, werde ich mich
noch selbst aufschneiden müssen!«
Vor zwanzig Jahren war ihm ein
Magentumor entfernt worden. Der Vater war durch die Klinik gerast, hatte die
eigene Behandlung geplant, seine Krankenakte von einer Abteilung in die andere
getragen, für sich ein Einzelzimmer gefunden, nebenher geschäftlich
telefoniert, und womöglich hätte er sich noch einen weißen Mantel angezogen
und der Visite angeschlossen, wenn er sich nicht hätte ins Bett legen müssen,
um an Brust und Bauch rasiert und in die Chirurgie geschoben zu werden.
Während die Ärzte den Vater operierten, saßen sie im Warteraum, und es war, als
löste sich Dina Rosen auf, als würde in ihrem Inneren und nicht in dem ihres
Mannes herumgeschnitten. »Was machen die denn? Wieso dauert das so lange?
Doktor, wissen Sie, ob bei der Operation meines Mannes etwas passiert ist?« Mit
der Rechten rieb sie sich den Nacken. Sie rannte auf den Gang, sobald sie
draußen einen Arzt sah, und wollte wissen, wann ihr Mann die Prozedur
überstanden haben werde und sie ihn endlich sehen könne. Je aufgeregter sie
wurde, um so stiller wurde Ethan. Am liebsten hätte er dem ganzen Personal verkündet,
seine Mutter nicht zu kennen. Sehen Sie diese Frau, diese Krawalltante, die —
wollen wir wetten — gleich von ihrem Gatten, ihrem Felix, beginnen wird, mit
dem sie alles zu teilen bereit ist, die keine Sekunde ohne ihn sein möchte und
selbst auf der Toilette von Sehnsucht nach ihm geplagt wird, so daß sie nun
schon ganz außer sich ist und am liebsten die Operation unterbrechen würde, um
zu ihm zu gehen und nach dem Rechten zu schauen. Sehen Sie diese
Kraftkammerzofe mit hochgesteckter Frisur, sehen Sie, wie sie auf und ab rennt
voller Nervosität, ja, genau die da? Sehen Sie die? Ja? Die ist mir gänzlich
fremd, der bin ich noch nie begegnet, mit der habe ich nichts zu tun!
Aber es war wie immer. Was ihn
peinlich berührte, entzückte alle anderen. Niemand konnte sich dem Charme
seiner Eltern entziehen. »Hören Sie nicht auf Ihren Sohn, Frau Rosen. Es stört
mich keineswegs, wenn Sie nach Ihrem Mann fragen.« Der Oberarzt winkte beide
heran. Für sie, für Frau Rosen, mache er gerne eine Ausnahme. Sie lasse er ins
Aufwachzimmer. Eine sonst für Besucher verbotene Zone absoluter Ruhe.
Der Vater lag unter Schläuchen
und Geräten, eine Atemmaske über dem Gesicht. Die Mutter streichelte ihn wach. Ethan
stand am Ende des Bettes und griff nach dem linken Fuß mit den verkrümmten
Zehen, massierte sachte den Rist, strich über die von Venen durchzogene Haut.
Rosen blinzelte ins Licht, benommen von der Narkose. Im Hintergrund das
Wimmern einer Patientin, und da sagte Dina: »Erschreck nicht, aber - sie haben
dir den Ehering abgenommen.«
Er riß die Augen auf. Voller
Entsetzen. Sie erwähnte nicht, daß ihm eben ein Viertel des Magens herausgeschnitten
worden war. Bloß auf den Ring konzentrierte sie sich. Und auch er meinte nicht
etwa, er habe jetzt andere Probleme, sondern fuhr auf, als gäbe es nichts Wichtigeres.
Sie erklärte ihm: »Wegen der
Thrombosegefahr. Aber keine Angst, ich bringe dir den Ring morgen früh wieder.«
Und Rosen lächelte schwach und
flüsterte unter der Maske: »Na, dann bin ich ja für diese Nacht von allen
ehelichen Pflichten entbunden.«
Nie war er schlagfertiger als
in den Situationen, die alle anderen sprachlos machten. Aus jeder Sackgasse
wußte er den Ausweg. In der Not kannte er sich aus. Das war sein Terrain. Dina
sagte, sie sei mit ihm das erste Mal ausgegangen, als er für ein Konzert, das
gänzlich ausverkauft gewesen war, noch Karten ergattert hatte. Sie sagte, sie
habe ihn geheiratet, weil er Plätze in überfüllten Kinos, Sitze in rappelvollen
Bussen, Zimmer in ausgebuchten Hotels organisieren konnte. Wenn alle Tickets
vergeben waren, trieb er noch irgend jemanden auf, der sie einer Reise, einer
Erkrankung oder einer beruflichen Verpflichtung wegen nicht nutzen konnte und
abgeben wollte, und dann suchte Felix diesen Menschen zu Hause, im Büro, im
Militärlager, im Ministerium auf. Der Vater liebte es, im letzten Augenblick
noch eine Lösung zu finden, wenn alle anderen schon aufgegeben
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