Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rabinovici, Doron

Rabinovici, Doron

Titel: Rabinovici, Doron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anderrnorts
Vom Netzwerk:
wenn er
etwas brauchte, und die Besucher heraufrief.
    Selbst jene, die seinen
Gedanken ablehnend gegenüberstanden, konnten sich seiner Faszination nicht
völlig entziehen, denn seine Abhandlungen waren von einer bestechenden Logik,
wenn sie auch zumeist zu überraschenden und sogar skandalösen Folgerungen
führten. Besondere Empörung hatte seine These vom embryonalen Tod des Messias
hervorgerufen, aber Berkowitsch verteidigte die Theorie mit allen
argumentativen Mitteln. Er trat seinen Gegnern selbstbewußt entgegen. Weshalb
seine Idee denn soviel abwegiger sei als jene Theodor Herzls, der vor mehr als
hundert Jahren in Basel die Gründung des jüdischen Staates prophezeite? War nicht
verkündet worden, nur Gott allein werde die Juden heimführen? Und hielt man
nicht jene religiösen Fraktionen für verrückt, die zu glau ben begonnen hatten,
ausgerechnet die säkularen Linken könnten das himmlische Werk vollenden? Hatten
viele religiöse Gelehrte nicht gehofft, pünktlich mit Ben Gurion die
messianische Zeit einzuläuten? Und war es etwa verständlich, Siedlungen zu
gründen mitten in arabischen Städten? Oder Kindergärten zu errichten, die nur
unter dem Schutz einer jüdischen Besatzungsarmee existieren konnten? Wieso sei
dieses politische Vorgehen geheiligter als der Versuch, mit laizistischen
Wissenschaftlern die Niederkunft des Messias anzustreben? Hieß es nicht mit
gutem Grund, in diesem Land sei nur ein Realist, wer an Wunder glaube, mit ihnen
rechne und auf sie baue? Er verstehe die Zurückhaltung nicht. Es gebe doch
Chassiden, die sich nur rennend durch die Welt bewegten, weil sie in der Shoah
ein Zeichen der Endzeit sehen und das Nahen des Messias erwarten. War es da
nicht vernünftig, zumindest die Chance zu ergreifen, mit modernen Mitteln für
die alten Verkündungen zu arbeiten? Was sollte daran falsch sein, es zu wagen?
Wenn das Experiment mißlang, würde eben kein Messias, sondern das eine oder
andere jüdische Kind geboren werden. Künstliche Befruchtung war nichts
Außergewöhnliches mehr. Was aber, wenn durch diese Intervention die Welt
gerettet und neu erschaffen würde? Mußte diese Möglichkeit nicht genutzt
werden?
    »Seit vielen Monaten suche ich
nach den Überlebenden jener Familie, aus deren Mitte der Meschiach hätte
entspringen sollen. Ich stieß auf die Linie, aus der die Mutter des ungeborenen
Kindes stammte, verfolgte deren Stammbaum, und - ahnen Sie es nicht schon, Professor
Rosen? — Sie sind ein entfernter Verwandter jenes Embryos, der in Polen
ermordet wurde. Sie sind einer der Angehörigen und jung genug, um ein
Samenspender im großen Experiment zu sein. Sie mögen keine Tefillin legen,
nicht koscher essen, den Schabbath nicht halten und die hohen Feiertage nicht
begehen, aber Sie können uns Ihr Sperma geben und sich unserem Projekt
verschreiben. Es geht um das Vermächtnis, um das Erbe, um eine Hypothek aus
der Vergangenheit.«
    Der Rabbiner fuhr sich mit der
Hand durch seinen Bart. Ethan starrte den Frommen an. Warum hatte er sich nur
auf dieses Treffen eingelassen? Er hatte es mit einem Meschuggenen zu tun,
einer Gestalt aus dem Altertum, wie sie in diesem Land zu Abertausenden umherwuselten,
Pilger, die plötzlich glaubten, Christus höchstpersönlich zu sein, und für die
eine eigene Jerusalemer Klinik eingerichtet worden war, die auf dieses
sogenannte Jesussyndrom spezialisiert war. Mönche, die umherliefen, als wären
die Kreuzzüge noch nicht vorbei. Priester, die miteinander stritten, welche
Stufe in der Grabeskirche der einen und welche der anderen Kongregation
gehörte. Seit mehr als eineinhalb Jahrhunderten lehnte an einem Fenstersims
über dem Haupteingang des Heiligtums eine kleine verwitterte Holzleiter, die
irgend jemand vor Generationen dort vergessen hatte. Sie konnte seither nicht
weggeschafft werden, weil nicht geregelt war, welche Glaubensgruppe dort
überhaupt hinlangen durfte. Da waren Muftis, die gegen jedes archäologische
Unterneh men
in der Altstadt predigten. Die Juden, so wetterten diese muslimischen
Geistlichen, wollten den Felsendom unterhöhlen. Aber auch ultraorthodoxe
Rabbiner wehrten sich gegen die Ausgrabungen, da die vor Jahrtausenden
Verstorbenen durch die Freilegungen in ihrer Totenruhe gestört würden. Einig
waren sie sich nur, wenn es darum ging, eine gemeinsame Parade von arabischen
und jüdischen Schwulen durch Jerusalem zu verhindern. Die Pressekonferenz der
gottvollen Männer in ihren weiten Röcken, im Ornat oder im

Weitere Kostenlose Bücher