Rabinovici, Doron
ist es, auf das wir in den Schriften stoßen. Einerseits die
Prophezeiungen, der Messias werde kommen, die Welt zu befreien, und im
Gegensatz dazu die Vorhersagungen der Katastrophe. Die versteckten Zeichen,
wann und wo er gezeugt werden soll, aber ebenso die verborgenen Hinweise in
eine ganz andere Richtung. Wie sollte ein Embryo, der ermordet wurde, zum
Herrscher der Welt werden können? Wie kann der Lauf der Geschichte umgekehrt
werden?«
Der Rabbiner machte eine
Pause, in der er die Tortencreme vom Karton des Ordners kratzte und zu essen
begann. Ethan sah ihm verdrossen dabei zu. »Nu, Rabbi, was ist die Antwort?«
Die Augen des Frommen
blitzten. Das Interesse des säkularen Professors war endlich geweckt. »Es
liegt an uns, Ethan Rosen. Dies ist der Moment der Entscheidung, die Stunde der
Wahrheit. Unsere Generation ist auserwählt, die Herausforderung anzunehmen.«
»Indem wir Tefillin legen?«
»Im Namen des Allmächtigen,
ich rede nicht von den Gebetsriemen. Sind Sie beschränkt? Ich spreche von der
Schrift, von den Zeichen. Hören Sie nicht? Ich spreche von den geheimen
Chiffren, die Gott seit Anbeginn in unserem Innersten verborgen hat. Sie sind
der Ursprung und das Ende unseres Seins. Ich rede von einem Embryo und dem
Text, der diesem Wesen eingeschrieben war, noch ehe es zur Welt kam. Von Gottes
Signatur, die es in sich trug. Was ist denn die Befruchtung, wenn nicht eine
Schöpfung? Was findet sich im Kern allen Lebens, wenn nicht die Insignien des
Göttlichen, jene Spirale mit genetischer Information, die in der Biologie mit
dem Namen Desoxyribonukleinsäure bezeichnet wird, diese Steigleiter unseres
Selbst. Diese rotierende Doppelhelix ist, das sagte ich auch meinen
rabbinischen Kollegen, die Grundeinheit jeder Thorarolle. Sie ist uns von Gott
gegeben. Verstehen Sie, Herr Professor? Wir müssen nur bereit sein, sie im
Lichte unseres Wissens zu lesen.«
Ethan schüttelte den Kopf.
»Ich glaube, ich verstehe Sie nicht. Besser gesagt, Sie können doch nicht
meinen ...«
»Das Kollegium aus Rabbinern
verstand mich sofort, Herr Professor. Warum sind Sie so begriffsstutzig? Passen
Sie auf. Es steht alles geschrieben. Wir wissen über den Messias genug, wenn
wir die Zeichen und Codes entziffern. Warum sollten wir nicht tun, was wir
seit Jahrtausenden machen und was die Essenz unserer Religion ist? Wir lesen
und lernen auswendig. Wir schreiben ab und bleiben den Buchstaben treu. Weshalb
nicht kopieren, was uns gegeben wurde? Wieso nicht mit Hilfe unseres Wissens
gegen die Auslöschung und die Vernichtung ankämpfen? Der Text ist da. Die
Paraphe Gottes liegt vor uns. Wir wissen viel über jenen Embryo, der getötet
wurde. Wir müssen nur die allernächsten Verwandten finden, die überlebt haben.
Wir können dann mittels gentechnischer Verfahren und mit Unterstützung unserer
talmudischen und kabbalistischen Lehren, vor allem aber mit der Hilfe des
Allmächtigen, ja, beesrat hashem, das Experiment wagen.«
»Rabbi, sind Sie total
meschugge? Sie wollen den Messias klonen? Wie Dolly, das Schaf?«
Der Rabbiner frohlockte:
»Sehen Sie, jetzt haben Sie es endlich verstanden. Obwohl: Es ist kein Klonen,
da wir ja gar kein Original haben. Noch nicht! Aber aus den Keimzellen der
allernächsten Verwandten wollen wir jenes Kind wieder erstehen lassen, das
bereits einmal gezeugt und das ermordet wurde, ehe es zur Welt kam. Wir werden
dazu vielleicht Tausende von Embryos brauchen - und Gottes Hilfe.«
Rabbi Berkowitsch war mit
seinem Vorhaben auf die Ablehnung der Gelehrten gestoßen. Sein Ansehen hatte
gelitten. Dieser Mann war unter den Ultraorthodoxen des Landes berühmt. Wenn von
ihm die Rede war, horchten fromme Chassiden auf. Nicht wenige waren von seinen
Ideen fasziniert. Viele achteten sein Wissen und bewunderten seine
Entschlossenheit. Er wußte aufzutreten. Er leitete eine eigene Denkschule.
Sein Zentrum lag in einem kleinen Städtchen unweit von Tel Aviv. Hier empfing
er Menschen aus seiner Gemeinde. Nachts hielt er Audienz, tagsüber arbeitete er
mit seinen engsten Schülern und Vertrauten. In den frühen Morgenstunden
warteten im Bethaus jene, die seinen Rat suchten, seinen Schiedsspruch erbaten
oder seinen Segen erhofften. Sie standen in einem kahlen Eingangsraum,
Neonlicht bleichte das Zimmer, aus dem eine steile Treppe in ein winziges Büro
führte, in dem Rabbi Berkowitsch auf einem Sofa hinter einem Tisch saß. Ihm gegenüber
an der Wand lehnte ein junger Chassid, der dem Rabbiner zur Hand ging,
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