Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rabinovici, Doron

Rabinovici, Doron

Titel: Rabinovici, Doron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anderrnorts
Vom Netzwerk:
irgendein Kamel und fresse es ab. Und
dabei sei da doch einst gar nichts gewesen. Nur Wüste. Und das bißchen Haus,
Feld und Wiese, das es gegeben haben mag, sei doch gar nicht der Rede wert.
    Felix hatte nur den Kopf
geschüttelt, wenn Ethan als Jugendlicher rebellisch geworden war: »Nu, was
soll ich dir sagen: Einen schlechten Vater hast du!« Er war abgespeist worden
wie ein dummer Junge, und das Schlimmste war, erkennen zu müssen, nicht
gelassener, nicht erwachsener umgehen zu können mit den Tatsachen, die er vor
wenigen Stunden erfahren hatte. Er reagierte auf die Nachricht, nicht der
Sohn seines Vaters zu sein - wie widersinnig und lächerlich allein die Worte
klangen, irgendeiner sei nicht der Sohn seines Vaters! —, wie ein dreijähriger Bub, dem sein Teddybär
weggenommen worden war. Seine Wut richtete sich gegen ihn selbst, aber sein
Zorn zielte auf die Eltern. Hatten sie ihn nicht zu dem gemacht, der er war und
nicht sein wollte?
    Da war auch ein anderer
Schmerz. Er dachte an Noa. Sie hatte zu den anderen gehalten. Zu den Eltern.
Zum anderen. Zu Rudi. »Bleib hier«, hatte sie gesagt. Oder hatte er auch
gehört: »Bei mir«?
    Rudi saß neben ihm und hielt
das Mobiltelefon ans Ohr. Er sprach mit der Auskunft und erkundigte sich nach
den Nummern verschiedener Hotels. Ethan war bereits Richtung Strandpromenade
abgebogen. Er hatte nicht daran gedacht, eine bestimmte Unterkunft anzusteuern.
Er wollte sie alle abklappern. Es gab an der Küste genug von diesen Kästen:
Carlton, Sheraton, Hilton. Manche Kette war sogar in doppelter Ausführung
vertreten. Die typische Wabenarchitektur und unzählige Balkone. Blick aufs
Meer. Aber nun hörte Ethan, daß Rudi ein Zimmer in Herzliya suchte. Kaum hatte
er die Reservierung bestätigt, rief er bei der Fluglinie an, um seine
Rückreise für den nächsten Tag zu fixieren.
    Ethan erinnerte sich an jene
Jahre, als sie noch keine Wohnung in Tel Aviv hatten. Sie waren in einer jener
Bettenburgen an der Küste abgestiegen und in einer Suite untergekommen. Sie
hatten damals in Chicago gelebt. Noch war die amerikanische Metropole nicht vom
späteren Aufschwung erfaßt worden. Eine Stadt aus Vierteln, die kein Ganzes
bildeten, eine Stadt voll offener Wunden. Der Frost im Winter. Der Wind, der
über den See peitschte. Hochhäuser, wie er sie nie zuvor gesehen hatte. Das IBM
Building, die dunklen Glasfassaden von Mies van der Rohe. The Rookery, der
neoromanische Wolkenkratzer von Daniel Burnham. Der Sears Tower, das Turmhaus
aus Quadern. Im Sommer die Reise nach Israel. Damals hatten sie das Land und
die Stadt mit den Augen von Fremden gesehen. Die Verwandten und Freunde waren
in die Lobby gekommen, um sie dort bei einem Clubsandwich zu sprechen. Er war
den ganzen Tag am Pool gesessen. Allein.
    Er erinnerte sich, wie er als
Wiener Volksschulkind in sein Geburtsland reiste und die einstigen Freunde aus
dem Kindergarten traf. Sie sagten ihm, er sei kein echter Israeli mehr,
während ihre Eltern das Gegenteil behaupteten und ihm mit wehmütigem Lächeln
versicherten, er sei ein richtiger kleiner Sabre. Die Stimmen der Großen wurden
dann sehr hoch und dünn, und es klang ein wenig wie das tantige »Du bist ja
schon ein ganz ein Großer«, das er von seiner Verwandtschaft ständig zu hören
bekam.
    Die Wohnung in Wien hatte ihn
von Anfang an begeistert. Die Räume waren höher, als er es je gesehen hatte.
Der Weg hinaus schien unheimlich lang und lange unheimlich. Er mußte durch
endlose Korridore gehen, an Mezzanin und Parterre vorbei, Schwingtüren
aufdrücken, um dann an Portale zu geraten, die nicht zu bewegen waren. Um aus
dem Haus zu kommen, waren ins Holz des Tores Pforten eingeschnitten worden.
Wollte er sie öffnen, brauchte er einen Schlüssel.
    In Tel Aviv hatten die Türen
offengestanden. Er war mit Freunden um die Häuser gezogen. Sie hatten im Hof
die Katzen aufgescheucht. Nach dem Sechstagekrieg lagen noch Sandsäcke vor den
Eingängen. Sie hatten Gefechte nachgespielt, waren über Gartenmauern gesprungen
und Fassaden emporgeklettert. Ganz anders in Osterreich. An seinem ersten Tag
in Wien war er aus dem Haus gelaufen. Aus Neugier. Er hatte nach Kindern
gesucht und war sicher gewesen, dafür nicht weit gehen zu müssen. Die Eltern
hatten ihm erklärt, er würde auf der Straße keine Spielkameraden finden, doch
er hatte sich einfach davongestohlen. In der Wiener Operngasse der sechziger
Jahre war er dagestanden, stumm und ratlos; kein Gleichaltriger weit und
breit,

Weitere Kostenlose Bücher