Rabinovici, Doron
eigene Geschichte verfälschen ohne Ende.« Zwei
Teenager in Badehose und Hemd gingen mit ihren Angeln Richtung Strand. »Der
neue Text über Dov ist noch nicht gedruckt worden. Zum Glück. Dieser ganze
Quatsch. Ich hab das bloß für Felix geschrieben.«
Ethan fuhr langsam an den
Rand. Er schaute in Fahrtrichtung. »Bloß für Felix? Nicht auch für Noa?« Er
sah den anderen an. Rudi schwieg. In der elterlichen Wohnung hatte er ihn
zärtlich umarmt, und nun dieser Angriff. Aber ebenso unerwartet wie der
Vorwurf kam das Lachen. Ethan kicherte, ein Glucksen erst, das in Prusten
überging, dann tätschelte er unversehens mit der flachen Hand Rudis Hinterkopf.
»Bild dir nichts drauf ein. Ich bin auch ein Bastard. Wir sind es beide.«
Rudi grinste verlegen. Er
wußte nicht recht, was der andere im Schilde führte, schielte nach Ethan. Der
sagte: »Du spielst immer über Bande, über die Familienbande. Mir brauchst du
nichts vorzumachen. Ich habe dich durchschaut. Das war von Anfang an so. Seit
dem Nachruf auf Dov. Jeder Gedanke kam mir bekannt vor. Kein Wunder, oder?«
Ethan feixte. »Du denkst nicht. Du denkst dich nur hinein. Du schreibst nicht für
dich wie andere. Nein. Du schreibst von Anfang an für Felix, für Dina. Für
Wilhelm Marker die gemeinsame Erklärung. Auf jeden Fall für die anderen. Nur
lügen — lügen, das tust du für dich allein.« Ethan redete sich in Rage: »Du
wirfst Felix seine Erinnerungen vor? Du nimmst den Überlebenden sogar
Auschwitz übel.«
»Von Überlebenden habe ich
nicht geredet. Auch nicht von Auschwitz.« Rudi schüttelte den Kopf. »Ich weiß
ja nicht, in welchem Film du gerade steckst, aber du solltest ihn schnell
anhalten, auswerfen und zurück in den Videoladen bringen. Ich suchte nur nach
meinem Vater.«
»Sie wollten das Beste für
uns.«
»Komm mir doch nicht so. Meine
Mutter wollte nur das Beste und verschwieg mir deshalb den Namen meines
Vaters. Meine Pflegemama wollte nur das Beste und half mir nicht, ihn
herauszufinden. Mein Erzeuger war ein Heiratsschwindler und wollte sicher nur
das Beste für seine Familie. Und Felix? Dieser Strohmann von einem Liebhaber,
dieser ewige Platzhalter, dieser Lückenbüßer! Er hat genau gewußt, wie sehr ich
die Wahrheit suchte, und log mir ins Gesicht. Und du? Kaum eine Stunde ist
vergangen, seitdem du Felix heftiger angegriffen hast als ich. Jetzt stellst du
dich schützend vor ihn, als wäre nichts gewesen. Die Wahrheit erkennst du doch
nur an ihrem Gegenteil. Und die Liebe? Seit wann interessierst du dich dafür?
Du bemerkst Noa erst, wenn sie mich bemerkt. Ohne mich hättest du sie längst
vergessen. Ohne mich wüßtest du immer noch nichts von Dov. Und von Dina. Und
von Felix. Ohne mich wärst du noch in Wien. Bei Marker! Von mir wurdest du
nicht belogen, sondern von deiner Mutter. Von Felix. Von Dov. Von deinem Vater.
Wer immer das ist. Von beiden zusammen.«
Ethan hörte aus Rudi sich
selber reden, und im selben Augenblick dachte er, daß es lächerlich war, sich
so aufzuregen. Geheimnisse waren nun einmal der Kern aller Familien. Ohne
Märchen keine Erziehung. Ohne Dunkel kein Elternzimmer. Ohne Heimlichkeit kein
Heim. Er sagte: »Ja, sie haben uns angelogen. Aber im Unterschied zu dir logen
sie der Wahrheit zuliebe. Du hingegen lügst, wenn du die Wahrheit sagst.«
Rudi lachte höhnisch. »Willst
du es ausprobieren? Soll ich davon schreiben? In der Zeitung. Die Wahrheit. Den
wahren Nachruf auf deinen Vater! Auf beide zugleich! Auf den leiblichen und auf
den lieblichen. Diesen Artikel werde ich jetzt schreiben. Na, wie schmeckt dir
das? Ich werde euch in eurer ganzen Häßlichkeit darstellen.«
Ethan holte nicht aus, ließ
seine Faust nicht gegen Rudis Nasenbein knallen. Kurz blitzte es auf, das Bild
vom anderen, der sich vor Schmerz krümmte. Ethan trat nicht zu, bis der andere
aus dem Auto stürzte und im Rinnstein lag. Nichts dergleichen. Er saß nur
erstarrt da. Er ließ sein Fenster heruntergleiten und sah hinaus auf die Straße.
Er atmete durch. Das Echo der Worte hallte in ihm wider. »Den wahren Nachruf
auf deinen Vater! Auf beide zugleich!« In der Ferne kam ein Lastwagen näher,
und plötzlich griff er nach Rudis Laptoptasche auf dem Rücksitz und schleuderte
sie auf die Fahrbahn.
»Bist du verrückt«, schrie
Rudi und hob den Arm. Aber obwohl er der Größere war, fand er nicht die Kraft,
um auf den anderen einzuprügeln. Ethan, der die emporgereckte Faust sah,
explodierte jetzt erst recht und schlug dem
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