Rache - 01 - Im Herzen die Rache
dass sie in Ascension als Menschen auftreten, obwohl ich ihnen noch nicht begegnet bin.«
»Und das alles glaubst du wirklich?« Em kratzte sich mit ungutem Gefühl am Hals.
»Ich glaube es nicht. Ich weiß es.« Dreas Miene war todernst.
»Das Mädchen, das mich verfolgt – du denkst also, sie ist eine Furie?« Ems Kopf war ganz benebelt vor lauter Fragen und Zweifeln. »Glaubst du, Sasha und Chase hatten etwas mit den Furien zu tun?«
Drea zuckte mit den Schultern. »Ich bin mir nicht sicher, aber es würde mich nicht wundern. Sie treiben sich ja schon ewig hier rum – seit jeher erzählt man sich in der Stadt Geschichten über die schönen, grausamen Schwestern. Und in anderen Städten auf der ganzen Welt auch.«
»Woher weißt du diese Dinge?«, fragte Em. In ihrem Kopf drehte sich alles.
Drea fuhr mit dem Finger am Rand ihrer Coladose entlang. »Ist mein Hobby«, antwortete sie knapp.
»Aber warum?«, bohrte Em weiter. Es war nicht kalt in dem Keller, trotzdem zitterte sie. »Wann hast du zum ersten Mal von ihnen gehört? Wieso hast du angefangen … all diese Sachen zu sammeln?«
Drea stand plötzlich auf und schleuderte energisch die leere Dose in einen Mülleimer, der in der Ecke stand. »Hör zu, um mich geht es hierbei nicht, klar? Du bist diejenige, um die es geht, und um das, was hier gerade abläuft und was du dagegen tun willst.«
»Aber das ist total verrückt«, sagte Em. Wenn irgendjemand wüsste, dass sie in Drea Feiffers Keller saß und sich über Geister unterhielt … »Warum – warum sollte ich dir glauben?«
Als könnte sie Ems Gedanken lesen, fragte Drea, ohne eine Miene zu verziehen: »Glaubt dir denn irgendwer?«
Em schüttelte den Kopf.
»Das dachte ich mir. Deshalb bist du ja hier. Und das ist auch der Grund, warum du mir vertrauen solltest. Weil ich dir nämlich glaube.«
Em biss sich auf die Lippe. »Also … angenommen, die Furien existieren wirklich«, sagte sie. »Kann man sie aufhalten?«
»Ich weiß es nicht genau, aber ich werde es rausfinden.« Em bemerkte die wilde Entschlossenheit in Dreas Blick. »Ich werde sie fertigmachen.«
Em suchte nach Worten. »Aber müsstest du nicht eigentlich irgendwie auf ihrer Seite stehen?« Sie sah immer deutlicher, dass kein Weg daran vorbeiführte. Sie musste Drea von Sasha und Chase erzählen. »Hör zu, ich bin mir ziemlich sicher, dass es Chase war, der Sasha dazu gebracht hat, von der Brücke zu springen. Und jetzt ist er tot. Ist das nicht irgendwie in deinem Sinne?«
Drea blickte Em mit traurigen Augen an. Und Em fühlte sich zum ersten Mal in ihrem ganzen Leben wirklich klein.
»Ist das dein Ernst?«, kreischte Drea. »Glaubst du wirklich, dass die Welt so funktioniert? Glaubst du, Sasha ist deswegen von der Piss-Brücke gesprungen? Wegen diesem beschissenen Chase Singer? Nein. Sie ist von der Piss-Brücke gesprungen, weil sie traurig war und einsam und furchtbar deprimiert. Und ich hab nichts davon gewusst.« Ihre Stimme wurde immer schriller; sie redete so schnell, dass Em kaum noch verstehen konnte, was sie sagte. »Ich hab nichts davon gewusst«, sagte sie noch einmal. Und unterdrückte dabei die Tränen.
»Ich bin sicher, dass du –«
»Du weißt gar nichts, Emily Winters. Du kennst nur deine eigene kleine Welt und dein eigenes beschränktes Leben. Aber hör zu. Die Furien tun nichts Gutes. Ich will auch nicht, dass sie irgendetwas tun, außer zu verschwinden. Denn was passiert, wenn ich mal einen Fehler mache? Wer soll dann über mein Schicksal entscheiden? Ich selbst. Oder wenigstens die Menschen, mit denen ich zu tun habe. Und nicht so ein paar dahergelaufene Rachegötter-Schicksen aus dem Jenseits, die nichts anderes im Kopf haben, als die Leute fertigzumachen. Die kennen absolut kein Erbarmen, verstehst du?«
»Aber was ist – was, wenn sie mal einen Fehler machen?« Em merkte, dass sie ihre Cola so fest wie einen Schraubstock umklammert hielt.
Drea entfuhr ein trockener Lacher, der sich fast wie ein Husten anhörte. »Die sind schon seit Jahrhunderten unterwegs – und trotzdem garantiert der Meinung, noch nie einen Fehler gemacht zu haben.« Das grünliche Licht tanzte auf ihrem Gesicht.
»Nach welchen Kriterien suchen sie einen aus?«, fragte Em hartnäckig weiter. »Und woher wissen sie, ob jemand etwas Böses getan hat? Was genau zählt denn dabei?« Was sie eigentlich sagen wollte, war: Das, was ich getan habe, war nicht annähernd so schlimm wie das, was Chase gemacht hat, doch sie verkniff sich
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