Rache - 01 - Im Herzen die Rache
einfach nur auf ihren Namen starren können.
Hast du Lust, heute zu mir zu kommen? Ich brauche dich!
Chases Herz schlug wie wild. Er würde nicht nur Ty sehen, sondern auch ihr Zuhause – das war eine wirklich große Geste. Doch er versuchte, einen auf cool zu machen. Ja, das wäre toll.
Sie antwortete postwendend. Okay. Komm zum Silver Way 128. Chase bog auf den geschotterten Platz vor der neuen Mall ein, überflog die Wegbeschreibung, die er von seinem Laptop abgekritzelt hatte und wünschte sich, er hätte ein Handy mit GPS – oder überhaupt mit Internet. Moment. Das war ja der Silver Way. Wie in vielen alten Städten gab es auch in Ascension haufenweise kleine Sträßchen – aber das war trotzdem irgendwie seltsam.
Das Einkaufszentrum hockte, erst halb fertig, wie ein gigantischer Koloss vor ihm, ein riesiger Kasten mit einem klaffenden Loch an der Hinterseite, wo ein »Atrium« geplant war. Kein Wunder, dass alle – die Kinder ebenso wie die Lokalzeitung – das Teil nur das Shopping-Monster nannten. Es herrschte Totenstille, bis auf das entfernte Brummen der Baukräne und Bohrmaschinen. Das ganze Gebäude war in Planen gehüllt, damit auch bei der Kälte gearbeitet werden konnte.
Er musste irgendwo eine Abfahrt verpasst haben. Das konnte nicht stimmen.
Doch tatsächlich, da war Ty. Sie tauchte hinter einer Betonabsperrung auf, suchte sich einen Weg durch Schnee und Schotter, vorbei an orangefarbenen Leitkegeln und trug dabei Highheels und ein kurzes Jeansröckchen. Ihre Haare hatte sie mit einem kleinen Tuch zurückgebunden und die schmale weiße Strähne darin leuchtete in der Wintersonne. Chase stieg aus dem Wagen.
»Ähm, hier wohnst du?« Er musste erst einmal schlucken. Er wusste wirklich nicht das Geringste über dieses Mädchen. Wieso kraxelte sie bloß hier auf dieser Baustelle herum?
»Ja, ich wohne da in dem Rohr«, antwortete sie, ohne eine Miene zu verziehen, und brach dann in ihr helles Lachen aus. »Natürlich wohne ich nicht hier, Dummerchen. Komm schon.«
Sie ergriff seine Hand und zog ihn vom Auto fort. Wie immer, wenn sie sich berührten, durchfuhr Chase ein elektrischer Schlag. Der frische Schnee knirschte unter ihren Füßen, während sie ihn hinter das riesige Einkaufszentrum in Richtung des Kiefernwaldes führte, der es umgab. Chase erkannte einen winzigen Pfad, der zwischen die Bäume geschlagen war. Sie verließen die geschotterte Betonlandschaft und verschwanden im Schatten der schneebedeckten Kiefern. Hier war der Schnee unberührt und Chases Stiefel versanken beim Gehen darin. Die Nacht brach langsam herein und der Pfad war kaum markiert, doch Ty marschierte zielstrebig drauflos. Chase stolperte ihr nach und versuchte, Schritt zu halten. Es schien fast, als schwebte sie über den Schnee.
»Du wohnst also nicht in diesem Rohr, aber dafür im Verwunschenen Wald, hm?«
»Im Verwunschenen Wald?« Sie wurde für einen Augenblick langsamer und sah ihn über die Schulter hinweg an.
»Ja – alle sagen, dass es hier in dem Wald spukt, Geister gehen um … uuuuuuaaaahhh«, erwiderte Chase schulterzuckend und versuchte dabei, möglichst abfällig zu klingen. »Bloß der übliche Blödsinn, den die Leute sich so erzählen.«
»Davon hab ich noch nie etwas gehört. Erzähl mir davon – ich liebe Geistergeschichten.« Ihre Augen blitzten und sie zog ihre Unterlippe zwischen die Zähne, wodurch ihre Wangenknochen noch ausgeprägter erschienen.
»Das ist bloß so verrücktes Zeug, das die Leute erfunden haben, um Ascension interessanter zu machen. Wenn es hier Geister gibt, dann sind sie wahrscheinlich breit von dem ganzen übrig gebliebenen Bier und vom Passivkiffen – westlich von hier ist eine Lichtung, wo die Jugendlichen gerne rumhängen. Keine Nachbarn in der Nähe, die die Bullen rufen könnten, weißt du. Manchmal geht auf den Partys da ganz schön was ab.«
Ty drehte sich um und kniff die Augen zusammen, als ob sie versuchte, sich an irgendetwas zu erinnern. »Ich hab mal eine Geschichte über diese seltsamen Schwestern gehört, die hier draußen gelebt haben sollen, vor Hunderten von Jahren oder so. Glaubst du, dass sie es sind, die hier immer noch herumgeistern?«
»Ich hab hier bis jetzt noch keine Geister gesehen«, antwortete Chase. »Aber falls welche da sind, werde ich dich beschützen.«
Ty lächelte und ging weiter.
»Wir sind schon fast da«, sagte sie und drückte seine Hand.
Hinter der nächsten Biegung stand ein Haus im Schein des fast schon vollen
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