Rache an Johnny Fry
angerufen?«
Schon der Name machte mich nervös.
Wir kamen an einem Bistro vorbei, das Trente-Sept hieß. Es war geschlossen, aber vor der Eingangstür befand sich eine kleine hölzerne Bank, die an das Ladengitter gekettet war. Ich machte zwei unsichere Schritte und ließ mich darauf sinken. Mein Atem ging schwer, ich zitterte.
Sisypha setzte sich neben mich, und ich spürte ihre Wärme. Sie legte mir eine Hand aufs Gesicht und schmiegte sie um meine Wange.
»Hast du… hast du etwas unternommen?«, fragte sie.
»Nein, nichts. Sie haben mich nicht mal gesehen. Ich bin einfach wieder gegangen.« Ich zögerte. »Er war zu groß. Ich fühlte mich wie ein Nichts.«
»Und du hast Angst, sie verlässt dich, wenn du ihr sagst, dass du Bescheid weißt?«, fragte Sisypha.
Ihre Stimme war sanft. Ich wandte mich ihr zu. Sie betrachtete mich mit tiefer Besorgnis.
»Ich habe das Gefühl, ohne Haut und Knochen zu sein – alles, was mich zusammenhält, ist sie. Wenn sie geht, falle ich auseinander, und von mir bleibt nichts als ein großer Haufen blutiger Innereien.«
Sisypha griff nach meiner verletzten Hand. Es gab keine sexuelle Spannung zwischen uns. Wir waren uns nur nahe. Es war, als trennte uns überhaupt nichts.
»Wirst du es ihr sagen?«
»Ich glaube, ich kann es nicht.«
Der Gedanke, Johnny Fry zu ermorden, erschien mir mit einem Mal lächerlich. Er war unwichtig, völlig unwichtig. Nur Sisypha war wichtig, sie und ihre Hand zu fühlen, die meinen Schmerz bedeckte.
»Warum nicht?«, fragte sie flüsternd.
»Ihr Onkel«, sagte ich.
»Was ist mit ihm?«
»Er hat sie vergewaltigt…. vor langer Zeit, als sie noch ein Kind war. Dann ist er gestorben, und sie brauchte etwas… etwas, das ich ihr bis dahin nicht gegeben hatte.«
»Viele’ Menschen hatten eine harte Kindheit«, sagte Sisypha. »Das ist nicht deine Schuld.«
»Genau das denkt auch Cynthia. Sie sagt, jeder sei für sich selbst verantwortlich.«
»Das stimmt«, sagte Sisypha mit überraschendem Nachdruck. »Eine schwarze Frau, die sich von einem Weißen in den Arsch ficken lässt und dabei von ihrem Mann – einem Schwarzen – erwischt wird, hat eine gehörige Abreibung verdient.«
»Ja«, sagte ich und flüsterte noch immer. »Aber verstehst du denn nicht? Als ich die beiden sah, wurde mir mit einem Mal klar, dass sie mehr brauchte, als ich ihr geben konnte. Ich hatte nie auch nur die geringste Ahnung gehabt, was in Jos Kopf vorging, Johnny dagegen sah sie ein einziges Mal und wusste sofort, woran er bei ihr war.«
Sisyphas Empörung wich einem plötzlichen Erstaunen.
»Das war dir in dem Moment schon klar?«, fragte sie.
»Ja. Und ich hasste sie beide dafür, besonders Johnny, aber gleichzeitig wusste ich auch, dass sie keine Angst hatten, das zu tun, was sie wollten. Und als Jo mich dann dazu brachte, genau das mit ihr zu machen, was auch Johnny mit ihr gemacht hatte…«
»Was?«
»Aber verstehst du denn nicht?«, sagte ich. »Selbst wäre ich nie darauf gekommen.«
»Und warum bis du dann so außer dir? Solltest du nicht froh sein, dass du nicht mehr so blind bist?«
»Ja, aber ich bin nicht glücklich damit. Ich habe meinen Job geschmissen und ein neues Leben angefangen. Ich bin mit zwei Frauen ins Bett gegangen, nur…«
Brenda streichelte meine verletzte Hand.
»Gibst du auf?«, fragte sie.
»Ich verstehe nicht, was du meinst.«
In diesem Augenblick hielt eine große Stretchlimousine vor uns am Bürgersteig. Ich rechnete damit, dass jemand ausstieg, aber der große Lincoln stand nur da, als wartete er auf uns.
»Läufst du vorm Leben davon?«
»Ich habe kein Leben, vor dem ich davonlaufen könnte«, sagte ich. »Da ist niemand.«
»Aber es ist ihre Schuld, dass du dich so fühlst.«
»Wenn du tief in dir drin einen rätselhaften Hunger verspürtest…. und dann eines Tages erkennen würdest, was du brauchst, würde dich dann jemand, den du liebst, davon abhalten können?«
»Er würde es wollen«, sagte sie. »Er würde wollen, dass ich bei ihm bleibe.«
»Aber du wärst schon weg.«
Sisypha schnappte nach Luft. Wieder dachte ich, dass sie mich etwas fragen wollte.
»Was?«, fragte ich.
»Ich will dich um etwas bitten, Cordell. Aber dazu ist es noch zu früh.«
»Was ist es?«
Sie lächelte und stand auf.
»Sollen wir fahren?«, sagte sie und zeigte auf die Limousine.
Wie aufs Stichwort öffnete sich die Fahrertür, und ein großer, äußerst gut aussehender Asiat stieg aus. In seinen schulterlangen schwarzen
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