Rache auf leisen Pfoten
Ich rufe Dinky Barlow an.«
Dinky Barlow war Internist am Krankenhaus. Er war unglaublich gründlich.
»Schatz, mir fehlt nichts.«
»Ich bin hier der Arzt.« Er bemühte sich um einen scherzhaften Ton.
»Ich brauche vermutlich eine Aufbauspritze.« Sie lächelte matt. Es hatte keinen Sinn, Bill zu erklären, dass es ihre Beziehung war, die abbaute. Sie sprachen kaum über etwas anderes als banale Dinge – etwa, bring bitte Milch und Butter mit. Wie die meisten Ärzte machte Bill Überstunden und stand unter großem Stress. Er konnte sich nie damit abfinden, dass seine Patienten starben; es gab ihm das Gefühl, dass es sein Können befleckte.
Marcy brauchte mehr. Bill konnte ihr nicht mehr geben.
Er betrieb allerdings keine Seelenbeschau. Solange das Abendessen auf den Tisch kam, sein Heim ordentlich und sauber gehalten wurde, sah er keinen Grund zur Klage.
Seine Schweigsamkeit, die Bitsy und Chris als Feindseligkeit in der Ehe ihrer Freundin interpretierten, war in Wirklichkeit Erschöpfung. Er hatte wenig Zeit für Plaudereien mit seiner Frau und erst recht keine für ihre Freundinnen, die er für langweilig und oberflächlich hielt.
Bill klappte sein Handy auf, wählte, machte einen Termin für seine Frau, dann klappte er das Telefon zu, um es abzustellen. »Kommenden Dienstag um halb neun in Dinkys Sprechzimmer.«
»Danke, Schatz.« Sie konnte es nicht ausstehen, wenn er so über sie bestimmte, aber sie sagte nichts, sondern wechselte das Thema. »Warum wolltest du nicht zu Charlie Ashcrafts Beerdigung gehen?«
Er drehte seinen Stuhl zu ihr herum. »Marcy, eine Beerdigung ist das Letzte, wohin ich gehen möchte«, sagte er wehmütig. »Außerdem hat er als Mensch nichts getaugt. Für solche Leute habe ich keine Zeit.«
»Betrübt es dich denn kein bisschen, dass jemand aus deiner Klasse ermordet wurde?«
»Wenn es ein anderer gewesen wäre, vielleicht.« Er setzte sich aufrecht. »Weißt du, was mich ärgert? Die Amerikaner können nicht akzeptieren, dass der Tod zum Leben gehört.«
»Aber Charlie war noch so jung.«
»Der Körper hat seinen eigenen Zeitplan. In seinem Fall war es nicht sein Körper, sondern sein Geist. Er hat sein Ende selbst herbeigeführt. Warum soll ich scheinheilig so tun, als wäre ich betrübt? Wie gesagt, meine Liebe, der Tod gehört zum Leben.«
»Aber du bist betrübt, wenn ein Patient stirbt.«
»Da hast du verdammt recht. Ich kämpfe um meine Patienten. Ich sehe mit an, wie sie kämpfen. Charlie hat sein Leben verplempert. Ich wünschte, ich könnte meinen Patienten die Stunden und Jahre schenken, die er achtlos weggeworfen hat.« Er starrte Marcy böse an. »Warum streiten wir uns eigentlich?«
»Wir streiten uns doch gar nicht.«
»Ach.« Verwirrt lehnte er sich auf seinem Stuhl zurück.
Sie fuhr mit dem Sprengen fort, ging zu den Buchsbäumen hinüber, die weit genug entfernt waren, um ein Gespräch zu erschweren.
16
Der 1958er John-Deere-Traktor, liebevoll Johnny Knatterton genannt, knatterte über die westlichen Heuwiesen.
Roden gehörte zu Harrys Lieblingsarbeiten. Sie mähte den Straßenrand, rodete rund um den Stall und anschließend die Ränder ihrer Weiden und Heuwiesen.
Das Gras musste nächste Woche gemäht werden. Sie hatte bei einem Vermieter von Landwirtschaftsgeräten einen Heuwender vorbestellt. Später würde sie dann mit einer alten Ballenpresse über das flach gelegte, süß duftende Heu fahren.
Das war Schwerarbeit in der sengenden Sonne, doch Harry, die geborene Landwirtin, blühte dabei auf.
Heute tuckerte sie im mittleren Gang, sorgsam darauf bedacht, nicht zu nahe an den stark strömenden Bach zu geraten.
Die Pferde blieben im Sommer tagsüber im Stall; ein Ventilator blies in jede Box hinein, um die Pferde abzukühlen und die Fliegen zu verscheuchen.
Mrs Murphy und Pewter trieben sich im Brunnenhaus herum. Das kalte Wasser, das über die Steine lief, erzeugte einen köstlichen Duft. Den liebten auch die Mäuse.
Tucker, die sich im Mittelgang des Stalls ausgestreckt hatte, atmete ein und aus – winzige Stechfliegen flogen mit jedem Atemzug auf und ab wie ein Schirm aus Insekten, der sich öffnete und schloss.
Harry liebte diesen Flecken von Virginia. Sie war sehr stolz auf ihren Staat, der zwei uralte Bergketten, einen von drei großen Flüssen gespeisten fruchtbaren Küstenstrich und eine für einen Bewohner des Westens unvorstellbar üppige Vegetation aufzuweisen hatte. Doch dafür waren die Leute im Westen frei von dem
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