'Rache'-Box: Rachezug, Rachegier und Rachetrieb (German Edition)
verlaufen in einem Winkel von 36 Grad. Das Mädchen wurde also schräg von der Seite getroffen. Demnach muss der Täter während des Abfeuerns der Schüsse zwischen den Sträuchern gehockt haben, die meinen Garten auf der rechten Seite von der Straße abgrenzen.“
„Die Jungs von der SpuSi haben dort den ganzen Bereich gründlich abgesucht. Sie konnten weitere Schuhabdrücke der Größe 45 in der Erde sicherstellen“, warf Kortmann ein.
„Aber ansonsten gab es keine verwertbaren Hinweise?“
„Keinen einzigen.“
Nach einer kurzen Phase der Stille studierte Nora wieder den Obduktionsbericht: „Der toxikologische Befund hat ergeben, dass sich weder Betäubungsmittel, Gifte, Drogen noch Alkohol im Blut der Jugendlichen befunden haben. Auch wurden keine Knochenbrüche, Krankheiten oder andere körperliche Gebrechen festgestellt.“
„Anzeichen einer Vergewaltigung?“
„Nein, keine vaginalen oder analen Verletzungen, kein Indiz gewaltsamer Penetration. Auch keine Spermareste.“
„Unser Täter war also nicht an ihrem Körper interessiert. Er hatte keine sexuellen Beweggründe.“ Unschlüssig sah Tommy auf die Schreibtischplatte. „Vielleicht musste er die Jugendliche loswerden, weil sie belastendes Material über ihn in Erfahrung gebracht hatte. Möglicherweise hatte sie etwas gehört, das sie nicht hätte hören sollen. Deshalb hat der Mörder ihr auch die Ohren abgetrennt.“
„Das ist durchaus möglich.“ Nora lehnte sich achselzuckend zurück und fixierte Kortmann. „Was ist denn eigentlich mit den Fingerabdrücken, die am Tatort sichergestellt wurden?“
„Die konnten ausschließlich dem Mädchen zugeordnet werden. Ebenso das Blut.“
„Das war zu erwarten. Der Täter wusste genau, was er tat.“
Kortmann stimmte zu, bevor er zögerlich murmelte: „Ich frage mich allerdings, was uns die Ziffern 1, 0 und 8 sowie die Buchstaben J. H. sagen sollen.“
„Darüber habe ich mir auch schon den Kopf zerbrochen“, gab Nora kund. „Leider könnte ich mir vorstellen, dass J. H. die Initialen eines weiteren Mädchens sind.“
„Denken Sie etwa, dass der Mörder uns einen Hinweis auf sein nächstes Opfer gibt?“
Nora nickte. „Vielleicht haben wir es mit einem Serientäter zu tun. Dafür sprechen sowohl die Initialen als auch die Nachricht, die unter meinem Bild im Schrank hing. Zudem könnten die merkwürdigen Ziffern in diese Richtung deuten. “
Kortmann wischte sich über seine schweißbedeckte Stirn. Obwohl in seinem Büro eine Klimaanlage auf Hochtouren lief, schwitzte er am ganzen Körper. Die Bedeutung von Noras Sätzen ließ ihn sichtlich erschaudern. „Ein Serienmörder hier in Göttingen? Das ist unmöglich!“
Gerade als Nora etwas erwidern wollte, klingelte das Telefon auf Kortmanns Schreibtisch. Das Schwergewicht griff zum Hörer und schnauzte ein furioses „Hallo?!“ hinein.
Anschließend herrschte Stille. Lange Zeit zeigte Frederik keine Regung mehr.
„Ich verstehe. In Ordnung.“ Ohne sich vom Anrufer zu verabschieden, legte er wieder auf. Dann strich er sich über seine Krawatte und starrte auf die Bürotür.
„Schlechte Nachrichten?“, fragte Thomas, obgleich er die zustimmende Antwort bereits am Gesichtsausdruck seines Vorgesetzten ablesen konnte.
„Das kann man wohl sagen. Sehr schlechte Nachrichten, um genau zu sein.“
„Geht es um das unbekannte Mädchen?“
„Nicht direkt.“
„Was soll das heißen? Was ist passiert?“
Kortmann schloss die Augen. „Es wurde eine zweite Mädchenleiche gefunden. Im Göttinger Wald .“
10
Zwanzig Minuten später hielten die Ermittler auf einem Parkplatz nahe dem Göttinger Wald , einem knapp 430 Meter hohen Mittelgebirgszug am nordöstlichen Rand des Stadtgebietes. Sie stiegen aus Noras Ford und hielten sich wegen der intensiven Sonnenbestrahlung die Hände vors Gesicht.
Zu ihrer beider Beunruhigung wussten sie nicht, was sie in wenigen Augenblicken am Tatort zu Gesicht bekämen. Wie grausam mochte der Körper des Opfers zugerichtet sein? Welche perversen Fantasien mochte der Täter an ihm ausgelebt haben?
Kortmann hatte am Telefon keine detaillierten Informationen erhalten. Er hatte ihnen lediglich mitteilen können, dass vor einigen Minuten eine weibliche Leiche im Nordwesten des Göttinger Waldes gefunden wurde. Und obgleich es niemand von ihnen noch einmal laut ausgesprochen hatte, war ihnen umgehend derselbe Gedanke durch den Kopf geschossen: Was, wenn es tatsächlich der Täter von gestern ist? Wenn ein
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