'Rache'-Box: Rachezug, Rachegier und Rachetrieb (German Edition)
Zwischenzeit war es Nora zwar gelungen, mit diesem dunklen Kapitel ihres Lebens abzuschließen, doch seit einigen Monaten befand sich Max aufgrund guter Führung wieder auf freiem Fuß. Prompt hatte er ihr zu verstehen gegeben, dass er sie um jeden Preis wiederhaben wollte. Womöglich sogar mir Gewalt, falls das nötig war.
Wenngleich er seit Mitte Dezember nicht mehr bei Nora aufgetaucht war, konnte sich die Kommissarin nicht sicher sein, ob er nicht doch jeden Moment wieder vor ihrer Tür stünde. Immerhin war Max ein Mann, der voller negativer Überraschungen steckte.
Zu allem Überfluss war Noras neuer Lebensgefährte Timo Lechner vor vier Monaten an den Folgen eines Verkehrsunfalls gestorben. Dabei waren die letzten Worte, die Nora mit ihm gewechselt hatte, in einem vollkommen unnötigen Streit gefallen.
Das Leben ist nicht fair. Manche Menschen haben mehr Geld als sie jemals ausgeben können, besitzen mehr materielle Dinge als sie brauchen und sind gesundheitlich vom Glück gesegnet. Aber ich muss einen Schicksalsschlag nach dem anderen ertragen. Das Leben ist einfach nicht fair.
Die 38-jährige Hauptkommissarin saß an diesem Montagnachmittag reglos auf der Terrasse ihres Einfamilienhauses in Geismar . Sie trug einen dicken Pullover und hatte sich eine Wolldecke über die Beine gelegt. Schließlich zeigte das Thermometer erst zwölf Grad an.
Derzeit stierte Nora auf die Apfelbäume, die am südlichen Ende ihres Grundstücks standen und den Garten von einem Acker begrenzten. Zwar hörte sie einige Meisen in den Bäumen zwitschern, doch diesen fröhlichen Gesang nahm sie kaum wahr. Ihre Gedanken drehten sich unentwegt um Timos Autounfall.
Im Grunde hasse ich Selbstmitleid. Denn es gibt viele Menschen, denen es weitaus schlechter geht als mir. Aber Timos Tod ist der bisher heftigste Verlust meines Lebens. Noch nie habe ich eine solche Leere und Trauer empfunden.Und ich weiß beim besten Willen nicht, wie ich damit fertig werden soll. Ich finde einfach keinen Weg, um mit meinem Schmerz umzugehen.
Sie wischte sich eine Träne von der rechten Wange; in den letzten Wochen und Monaten hatte sie so viel geweint wie niemals zuvor in ihrem Leben. Ihre natürliche Blässe hatte von Tag zu Tag zugenommen. Momentan war nichts mehr von der engagierten, lebensfrohen Kriminalbeamtin zu sehen, die Nora bis zu Timos Tod verkörpert hatte. Nun glich sie höchstens noch einem Geist ihres eigenen Ichs.
Ich hoffe, dass meine Gedanken dich erreichen, wo immer du gerade bist, Timo. Denn ich möchte dir sagen, dass ich alles Erdenkliche gemacht hätte, um dich wieder aus dem Koma erwachen zu lassen. Aber ich konnte es nicht. Es lag nicht in meiner Macht. Ich hoffe, dass du das verstehst und mir verzeihst. Manchmal glaube ich, dass mir eine ...
Noras Gedanken wurden jäh unterbrochen: „Hier steckst du! Da kann ich ja lange an der Haustür klingeln!“
Die Ermittlerin fuhr erschrocken in sich zusammen. Ein kurzer Blick verriet ihr, dass Thomas Korn durch die Apfelbäume trat. Ihr zwei Jahre älterer Kollege trug einen grünen Pullover zu einer Bluejeans und trabte schnurstracks auf sie zu.
Als Kriminalhauptkommissar Thomas Korn seine Kollegin auf ihrer Terrasse sitzen sah, konnte er im Nu ihre beklemmenden Gedanken lesen. Er kannte Nora mittlerweile so gut, dass sie wie ein offenes Buch für ihn war. Die vergangenen elf Jahre ihrer Zusammenarbeit hatten die beiden so eng zusammengeschweißt, dass sie in der Regel genau wussten, was der andere jeweils dachte. Daher spürte Thomas genau, dass Nora sich momentan wieder einmal Vorwürfe machte. Vorwürfe, weil sie Timos Tod nicht verhindert hatte. Obwohl diese Schuldgefühle in seinen Augen vollkommen unberechtigt waren, hatte nicht einmal er es geschafft, seine Kollegin davon zu überzeugen, dass sie Timos Autounfall niemals hätte vereiteln können.
Zwar war Thomas nicht der Typ für tiefgehende Gespräche, doch sah er es als seine Pflicht an, seiner Partnerin und Freundin in diesen schwierigen Monaten auch auf emotionaler Ebene beizustehen. Derzeit war er wahrscheinlich sogar die einzige Person, zu der Nora noch regelmäßigen Kontakt pflegte. Seit Timos Tod hatte sie sich immer mehr zurückgezogen und kaum noch soziale Aktivitäten wahrgenommen. Daher bedrückte es Thomas ungemein, sie derart niedergeschlagen zu sehen. Er hasste es, bis heute noch kein Mittel gefunden zu haben, um sie wieder ins alltägliche Leben zurückzuholen. Nun schöpfte er jedoch neue
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