Rache: Die Eingeschworenen 4
schaffen, aber noch schlimmer war, dass er mich nicht einweihen wollte. Während das schwache Licht langsam vom vergitterten Fenster verschwand, saßen wir schweigend da. Ich wusste nicht, woran die anderen dachten, aber meine Gedanken wanderten wieder einmal nach Hestreng.
Ich träumte von einem neuen Hestreng, mit einem hohen Dach und vielen hohen Räumen, prächtig wie die eines Königs und mit kostbaren Schnitzereien verziert. Ich stellte mir Thorgunna darin vor, einen gesunden Jungen, Sklaven, eine Schmiede und gute, solide Landestege, wo meine Schiffe sanft auf dem Wasser schaukelten.
Es war ein schöner Traum, bis auf einige Schönheitsfehler, denn das Gesicht des gesunden Sohnes war immer das von Koll, der mich vorwurfsvoll ansah. Auch sah ich mich selbst nirgendwo in dieser schönen neuen Halle.
Und am schlimmsten war, dass ich mich an Thorgunnas Gesicht kaum noch erinnern konnte, und wenn ich an die Nächte dachte, Seite an Seite, zärtlich und wohlig, drängte sich mir nur immer ein kleiner, muskulöser Körper und ein Gesicht mit großen Seehundaugen auf.
» Also…«, sagte eine Stimme, und der Traum von Hestreng zerstob; ich war dem roten Njal fast dankbar, als er sich neben mich hockte.
» Also?«, wiederholte ich, und er sah mich mit seinen Augen an, die so grau waren wie das Wasser der Ostsee.
» Ich glaube, wir kommen hier nicht wieder raus.«
» Das Leben eines Menschen ist nicht zu Ende, ehe Skuld den letzten Faden durchgeschnitten hat«, gab ich zurück.
» Ja, stimmt– aber am besten sucht man, solange die Fährte noch warm ist, wie meine Großmutter immer sagte. Ich kann schon die Klinge der Nornenschere spüren, und ich wollte dir und den Göttern nur sagen, dass ich nichts bedaure und niemandem böse bin, denn wir sind durch den Schwur aneinander gebunden, und ich habe ihn freiwillig abgelegt. Ich werde nicht als Draug kommen und deine Familie heimsuchen.«
Ich brauchte einen Moment, bis mir klar wurde, dass er dachte, er sei ebenfalls zum Tode verdammt wegen meines Wyrd, in das ich mich durch meinen Opferschwur vor Odin begeben hatte. Trotzdem schluckte ich meinen Ärger hinunter und dankte ihm, konnte aber nicht umhin, ihn daran zu erinnern, dass es nur mein Wyrd war, zu sterben, und nicht seines. Vielleicht seien die Götter ja mit einem Tod zufrieden, sagte ich, worauf sich sein Gesicht aufhellte wie bei einem Kind, dem man einen neuen Sax zum Namenstag versprochen hat.
» Na ja«, erwiderte er. » Ich wollte es trotzdem erwähnen. Sorgen machen das Herz schwer, wenn man mit niemandem darüber reden kann.«
» Deine Großmutter war wirklich eine bemerkenswerte Frau«, sagte ich trocken, und er grinste stolz.
Und wieder spürte ich den Schatten Einars, des alten Anführers, der sein eigenes Wyrd auf sich geladen hatte und den wir dafür verflucht hatten, weil auch wir damals überzeugt waren, dass er alle Eingeschworenen mit ins Verderben riss. Jetzt wusste ich zum ersten Mal, wie ihm zumute war.
» Ich glaube auch nicht, dass es mein Wyrd ist, hier zu sterben«, sagte Krähenbein nachdenklich, was mich ebenfalls nicht überraschte, denn dieser Jüngling, der nicht mehr Kind und noch nicht Mann war, hatte die ganz normale Überheblichkeit der Jugend in doppeltem und dreifachem Maße mitbekommen.
» Dann kannst du ja derjenige sein, der Koll rettet«, entschied Finn.
Styrbjörn schniefte und befühlte vorsichtig die Beule an seinem Kopf.
» Jarl Brand ist ein guter Mann«, stimmte er zu, » und ohne Zweifel ein großzügiger Ringgeber– aber würden wir im Regen hinter Koll herstolpern, wenn Orm nicht sein Pflegevater wäre?«
Wieder war es meine Schuld, und ich verbarg meinen Ärger nicht länger.
» Würdet ihr nicht hinter dem Jungen hergehen, um ihn zu retten?«, fragte ich. » Es ist unser aller Wyrd, dass er entführt wurde, und in diesem Schlamassel sitzen wir alle gemeinsam.«
Styrbjörn dachte nach, ernsthaft und mit gerunzelter Stirn.
» Du hast recht, es kam durch den Streit, den ich mit meinem Onkel hatte«, gab er zu, doch dann machte er eine wegwerfende Handbewegung. » Aber so geht es eben, und man kann auch mir nicht die ganze Schuld dafür geben– Krieg ist nun mal Krieg. Und was den Jungen anbelangt«, fuhr er fort, » wenn es eine anständige Belohnung gäbe, würde ich ihm auch hinterherziehen. Du tust es, um deinen guten Ruf wiederherzustellen und die Freundschaft des Jarls wiederzugewinnen, der dir zu Land und einem Hof verholfen hat. Gute
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