Rache - die Handschrift des kleinen Mannes - Erlebnisse eines Leipziger Antiquitaetenhaendlers
für das 0,33er Bier kam tatsächlich zusammen – mit einem Pfennig Überschuss. Ich ging zum Tresen. Den überschüssigen Pfennig warf ich ins Bier. Ich wartete, bis er durch den Schaum hindurch zu Boden gesunken war. Ich brachte das Bier und stellte es so kräftig auf den Tisch, dass eine Bierfontäne nach oben schoss. »Verdammt noch mal! Hier liegt ein Pfennig im Bierglas!« – der Gast tobte. »Wissen Sie«, sagte ich, »Trinkgelder in dieser Höhe dürfen wir leider nicht übernehmen! Ich wollte den Pfennig erst auf den Bierdeckelrand legen, aber der ist so glitschig ... ich meine, wenn Sie den Pfennig herausnehmen wollen ... Soll ich etwas abtrinken?« Ich hatte die Einsfünfzig längst in der Faust, um sie meinem Gast zurückzuzahlen, aber dieser verschwand in Windeseile aus dem Lokal.
Wie gesagt, während der Mittagszeit, also zwischen 11.30 und 13.30 war das Rauchen unerwünscht. Ein korpulenter Gast mit einer dicken Zigarre im Mund betrat das Lokal. Rechts und links trug er je einen Koffer. Ich platzierte ihn gleich seitlich neben der Eingangstür. Der Herr stellte die Koffer ab und nahm Platz. Die Zigarre blieb im Mund. Der Gast qualmte und stank vor sich hin. Auf den Tischen standen um diese Zeit auch keine Aschenbecher, doch der Herr schien diese Tatsache zu ignorieren. Weil sich im Moment nur zwei Gäste im Restaurant befanden, die schon im Begriff waren, ihre Tische zu verlassen, ließ ich Gnade vor Recht ergehen und stellte dem Herrn einen Aschenbecher auf den Tisch. Dann brachte ich ihm die Speisekarte und legte sie ihm aufgeschlagen vor die Nase. Unwirsch schlug der Gast gleich ein ganzes Bündel Seiten um, weil ihm die Getränke vermutlich interessanter erschienen. Er sprach kein Wort und tippte mit seinem Wurstfinger auf Reudnitzer Bier und Korn. Ich begab mich zum Zapfhahn und gab beides in Auftrag. Mit Schrecken stellte ich fest, dass ich plötzlich Erdinger Weißbier im Glas hatte – der Mann am Bierhahn hatte sich also vertan. Dieses Getränk war natürlich nicht jedermanns Sache. Ohne mit der Wimper zu zucken stellte ich dieses Getränk nebst doppeltem Korn auf den Tisch. Diesen Weg hätte ich mir sparen können. Der Gast monierte und verlangte ein Reudnitzer. Ich brachte es, dann bemängelt er, dass unter dem Eichstrich einige Millimeter Bier fehlten. Ich nahm das Glas wieder zurück und ließ am Ausschank den Flüssigkeitsstand korrigieren und zwar so, dass das Bier beim Abstellen auf den Bierdeckel über den Glasrand schwappte. Was da der Gast schon wieder in seinen Bart murmelte, hatte ich gar nicht erst registriert. Zwischen seinen Lippen klebte immer noch der kalte Rest seiner Zigarre. Ungehalten fuhr er mit dem Zeigefinger über die Tagesgerichte. Ich empfahl das Schweizer Sahneschnitzel und die Rindsrouladen und dann Gerichte für Zuggäste, die es besonders eilig hatten. Der Gast blieb mit seinem Finger auf der Rindsroulade stehen, um sich für dieses Gericht zu entscheiden. Wenig später nahm er diese Bestellung zurück und legte sich für das Schweizer Sahneschnitzel fest. Es dauerte nicht lange und der Herr mit seiner kalten Zigarre sprang auf Seehechtfilet über. Langsam hatte ich den Kanal voll und verwies auf eine Panne mit dem Fischlieferanten um zu begründen, dass dieses Gericht im Moment nicht vorrätig sei. Der Gast knallte die Speisekarte lautstark zu, sagte nichts und schlug die Karte wieder auf. Dann bestellte er, nun mit der Zeit in Konflikt geraten, eine Bockwurst mit Salat. Als ich dieses Gericht servieren wollte, zögerte der Gast wieder und war der Meinung, dass er eine Fehlentscheidung getroffen habe. Daraufhin nahm ich letzteres Gericht anstandslos zurück wie das vorletzte und hatte unendlich viel Zeit, um das zu guter Letzt geforderte Zwiebelfleisch an den Tisch dieser männlichen Nervensäge zu transportieren. Zwischenzeitlich brachte ich die Eiskarte, eigentlich ganz unbegründet und fragte meinen Gast, ob er sich nun für einen bestimmten Zug entschieden habe. Der Herr streifte den Jackenärmel nach oben und schaute auf seine Armbanduhr. »Die geht genau«, sagte ich und zeigte auf das Chronometer im Lokal. Jetzt meinte der Gast, dass es besser sei, wegen eventuell auftretenden Mundgeruchs im Zugabteil, doch kein Zwiebelfleisch zu verzehren. Dieses Gericht gab ich vorsichtshalber gar nicht erst in Auftrag und bot dem Herrn an, dass ich die Bestellung gern stornieren würde, falls er es wünsche. Frau Pallhuber war mal wieder dienstlich unterwegs und
Weitere Kostenlose Bücher