Rache - die Handschrift des kleinen Mannes - Erlebnisse eines Leipziger Antiquitaetenhaendlers
sympathischen Eindruck machte, mixte ich dieses Gesöff eigenhändig, mindestens fifty-fifty, ohne mir etwas dabei zu denken. Als mein Gast den zweiten Grog herunter hatte fing er an, im Gesicht wie eine Rotlichtlampe zu glühen. Inzwischen halb zwei Uhr geworden, machte ich darauf aufmerksam, dass die Rauchpause zu Ende sei. Nun kramte mein Gast mit zitternden Händen seine Glimmstengel aus der Brusttasche und rauchte gierig. Er blätterte in der Getränkekarte und bestellte für sich einen doppelstöckigen Jacobi 1880. »Natürlich trinken Sie einen mit!«, sagte er, doch ich zögerte. Der Gast lehnte sich mit seinem Oberkörper zurück und zog die Stirn kraus und sah mich an. »Na gut«, erwiderte ich, »dann nehme ich einen Kaffee! Wissen Sie, ich bin noch neu im Geschäft!« Ich stiefelte los und brachte die bestellte Lage. Inzwischen hatte der Gast den oberen Knopf des Hemdkragens geöffnet und den Knoten seiner Krawatte einige Zentimeter nach unten geschoben. Jetzt machte er den Eindruck eines Champions nach beendeter Freistilringerrunde. »Es wird für mich heute einen entscheidenden Tag geben. Ach so, dass ich heirate, sagte ich Ihnen schon, nicht? Meinen Zug darf ich übrigens nicht verpassen, denn es ist heute meine vierte Ehe, deren Bund ich eingehen werde. Ich hoffe sehr, es ist der Letzte! Wissen Sie, ich war immer derjenige, auf den man nie bauen konnte. Außerdem bin nicht mehr der Jüngste, wie Sie ja sehen, und da ... ach was! Einen muss ich noch verputzen!«, befahl sich mein Gast und tippte sich auf die Brust. Der Alkohol hatte seine Zunge gelockert und es kam eben heraus, dass er schon drei Mal verheiratet war. »Wenn dieser eigentlich passable Mensch so weitersäuft, wird aus der vierten Heirat auch nichts!«, sagte ich mir und verwickelte meinen Gast in ein Gespräch, um ihn vor einem alkoholischen Exzess zu schützen. Dann begann er, mir seine ganze Biografie zu erzählen – natürlich war es die Ehe Nr. 5, in die der Herr stolpern wollte. »Übrigens Gummersbach mein Name – Rechtsanwalt a. D.!«, sagte er jetzt, schaute an mir vorbei und schnippte mit den Fingern nach dem Ober, der eigentlich schon neben ihm stand. Inzwischen war der Uhrzeiger auf fünfzehn Uhr gerückt. »Will nach Gera!« sagte Gummersbach, »es ist eine außergewöhnliche Eheschließung sie findet in einem Warmluftballon statt!« »Ja«, sagte ich, »davon habe ich schon gehört!« Um witzig zu erscheinen, zog ich ins Kalkül, dass eine Ehe sicherlich nie in einem Warmluftballon geschieden würde, auf Grund des Aufwandes, der mit einer Ballonfahrt im Zusammenhang stünde. Gummersbach grinste. Er hatte jetzt einen leichten Sprachfehler und meinte, dass, wenn man eine Ehe während einer Ballonfahrt schied, diese sich durchaus wieder von selbst kittete, da ja die Vorbereitungen zur Landung einen immens hohen Zeitaufwand bedeuten würde. Außerdem könne keiner der Insassen während der Fahrt abspringen. Da war natürlich etwas Wahres dran. Ich machte Gummersbach zum wiederholten Mal darauf aufmerksam, dass er sofort das Revier räumen müsse, um seine heutigen Pläne noch in die Tat umsetzen zu können. Außerdem gab es im Bereich der Osthalle des Leipziger Hauptbahnhofes noch eine Möglichkeit, mit dem Bus nach Gera zu gelangen. Gummersbach winkte ab und jagte mich erneut zur Theke, um sich noch zwei doppelte Braune einzuhelfen. Dagegen konnte ich nichts tun, weil sich mein Gast anständig benahm. »Gera-Saalfeld – das ist der Zug, in den ich steigen muss!«, lallte mein Gast. Wie er überhaupt auf dem Leipziger Hauptbahnhof landen konnte, war mir schleierhaft, erforderte doch der Zug Cottbus-Saalfeld über Gera kein Umsteigen. »Und, wann startet ihr Warmluftballon?«, fragte ich. »17.30 Uhr, also heute A-abend!«, bekam ich zur Antwort. Gummersbach nahm seinen Cognacschwenker zur Hand und beförderte den letzten Tropfen in die Kehle, dann bestellte er noch ein großes Bier. Außerdem wurde ich um Eile gebeten, stünde doch der Uhrzeiger schon auf viertel nach Vier nachmittags. »Jetzt schaffen Sie‘s nur noch mit einer Taxe!«, sagte ich, denn der wichtige Zug Cottbus-Saalfeld war bereits schon vor einer Stunde aus dem Bahnhof gerollt. »Die sollen warten!«, lallte Gummersbach und bestellte einen doppelten Whisky. Dann fing er an zu weinen, schimpfte auf seine Braut, auf Gott und alle Welt und darauf, dass ihn seine Frauen im Leben nie verstanden hätten. Ich verstand ihn auch nicht, so radebrechte der
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