Rache - die Handschrift des kleinen Mannes - Erlebnisse eines Leipziger Antiquitaetenhaendlers
sich umständehalber von Dingen trennen wollten, die gut in unser Warensortiment passten. Dabei kreuzte ich in einigen Straßenzügen viel zu häufig auf, d.h. als »Einkäufer mit Bargeld«. Das sprach sich im Untergrund schnell herum. Man hatte in meiner Person wahrscheinlich einen Multimillionär vermutet. Besonders gefährlich waren die kleinen, flinken und weniger auffälligen Radfahrergrüppchen, die zum Teil aus Langfingern bzw. Taschendieben bestanden. Ich stellte vormittags mein Fahrzeug in der Leutzscher Weinbergstraße ab, stiefelte in die Hausnummer Zehn und bewegte ich mich ins erste Obergeschoss. Hinter mir öffnete sich die Haustür, und einer dieser Leute schlich mir auffällig nach. Ich hatte an diesem Tag 500 DM im »Rockaufschlag«, die mir Mackenrodt mit allerlei Bedenken vorschoss. Aus diesem Grund bemühte ich mich, so schnell wie möglich finanziell unabhängig zu werden. Falls man mich also tatsächlich um diese 500 DM brächte, müsste ich Mackenrodt dreiviertel tot unter die Augen treten, um meine Unschuld zu beweisen. Wenn er meine Ankäufe vorfinanzierte, bekam ich natürlich nur eine Provision, darauf hatte es Mackenrodt angelegt. Wegen dieses Geldbetrages war ein Raubüberfall schon lohnend, weil ein Totschlag bereits bei Null beginnt. Mein Verfolger unten im Hausflur trug ein Problem mit sich herum, ohne es zu ahnen. Das Problem für ihn war ich selbst, obwohl ich nie der Mutigste war. Die Holztreppe knarrte fürchterlich. Bei jedem Tritt nach oben erschrak ich, weil ich mir durch die Knarrgeräusche verraten vorkam. Jedes Mal wenn ich inne hielt, tat mein Verfolger das Gleiche. Ganz oben wohnte eine Familie Gorgas. Sie hatte ihre Bodenkammer mit allem möglichen Kram vollgeknallt, der nun zu besichtigen war. Aus brandschutztechnischen Gründen wurde nun die Räumung gefordert. Außerdem stand noch ein interessantes Speiseservice zur Disposition, für welches sich Mackenrodt interessierte. Ganz am Rande: Ich fand in Bodenkammern alter Häuser immer etwas an brauchbarem Inventar. Wie gesagt, so wie ich im Treppenhaus in die Höhe stieg, bewegte sich der Typ mit beträchtlicher Distanz hinter mir her. Aus diesem Grund verlor sich mein geschäftliches Interesse ganz und gar. Da stand ich nun auf dem Abtreter der Familie Gorgas und sah auf Klingel und Namenschild, ohne zu läuten. Meiner eigenen Sicherheit war dies natürlich nicht dienlich. Um ehrlich zu sein, ich bewegte mich mit weichen Knien wieder nach unten, vorbei an diesem komischen Typen, der mir Angst einjagte. Dabei ließ ich gespielte Ruhe walten. Irgendwann hatte ich mir zum Zweck der Selbstverteidigung einen Schlagstock aus Hartgummi zugelegt, ganz legal und ganz offiziell. Ich sah vor, ihn ständig unter der Jacke zu tragen. Da lag nun meine Waffe mutterseelenallein im Kofferraum meines Fahrzeuges. Der so genannte »Mitbürger« ist also zweistufenweise hinter mir her gesprungen und stand ebenfalls wieder unten im Hausflur. Da er nicht die Absicht hatte, mich auf die Straße hinauszulassen, verstellte er mir den Weg zum Ausgang. Möglicherweise erschien ich ihm schwächlich genug, als dass er mich in Ruhe lassen würde. Das Unheimliche an der Geschichte war, dass der Typ den Eindruck erweckte, als sei er stumm und taub. Falls er in seine Hosentasche griffe, benötigte er vermutlich sein Taschentuch, doch seine rechte Hand bewegte sich in Richtung innerer Brusttasche. Darin verschwand sie bis zum Ellenbogen. Der Herr hatte wohl kaum die Absicht, mir ein Autogramm zu geben. Plötzlich kam der Griff eines Springmessers zum Vorschein. Bevor mein Widersacher in Aktion treten konnte, bearbeitete ich mit halbgeballter rechter Faust seine Nasenspitze, um das Nasenbein nicht zu lädieren. Dabei schlug er mit dem Hinterkopf gegen die Flurwand und ging gezwungenermaßen in Kauerstellung. Das ungeöffnete Springmesser schusselte über den Steinfußboden. Der Typ verdeckte sein Gesicht mit beiden Händen und schaute durch die Finger, um mich zu beobachten. Seine Nase blutete, das rechte Handgelenk färbte sich rot. Überhaupt bereitete mir dieser Akt seelische Schmerzen in mir selbst. Beinahe hätte ich mich für meine Entgleisung entschuldigt. Schließlich war ich aus dem Alter heraus, um mich mit irgendwelchen Leuten herumzudreschen. Mit den Jahren sind meine Haare grauer und grauer geworden, wie die eines alten Mannes. Vielleicht war das der Grund, weshalb man sich vor mir nicht fürchtete. Der Straßengangster nahm jetzt seine Hände
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