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Rache - die Handschrift des kleinen Mannes - Erlebnisse eines Leipziger Antiquitaetenhaendlers

Rache - die Handschrift des kleinen Mannes - Erlebnisse eines Leipziger Antiquitaetenhaendlers

Titel: Rache - die Handschrift des kleinen Mannes - Erlebnisse eines Leipziger Antiquitaetenhaendlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Schmidt
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dessen blutende Nase. So sah ich also meinen künftigen Befehlshaber Kalle vor mir, der absolut nicht mein Fall war. Er nahm meine Liste in die Hand, sah flüchtig drauf und knautschte sie in seine Jackentasche. Nun waren wir am Ziel, stellten unser Fahrzeug ab, bewegten uns durch ein schmiedeeisernes Tor, danach durch einen wuchtigen Hauseingang und standen nun in einem prachtvollen, aber seit 1945 unsanierten Treppenhaus. Trotzdem, die Übrigbleibsel der prächtigen Gründerzeitära waren nicht zu übersehen. Kalle nannte das Gebäude einen Stall. Wir stiegen ins erste Obergeschoss. Vor uns hing lang und breit ein wunderschön altpatiniertes Namensschild aus Messing. Darauf war zu lesen: Willy Munkwitz – das Willy aristokratisch mit Y geschrieben. Nach dem Familiennamen folgte nun das Anhängsel Prof. Dr. habil, wie habilitatus, der Titel des Villenbesitzers persönlich. Das hat Kalle so gut wie nicht interessiert. Er glotzte auf das Namensschild und untersuchte die Holzschräubchen, ob sie noch gangbar waren. Dann ist er auf die Idee gekommen, den Diebstahl dieses schönen Namensschildes irgendwann auszuführen. Nun donnerte er mit dem bronzenen Türklopfer mehrere Male auf die Tür, so dass es durchs ganze Haus schallte. Man hörte ein betont langsames Schlurfen von gummibesohlten Hausschuhen. Bis die Tür geöffnet wurde, verging eine Ewigkeit, dann erschien die Silhouette eines überlegen dreinschauenden Gesichtes – Professor Munkwitz stand leibhaftig vor uns. Kalle hämmerte mit seinem Berliner Großmaul auf Munkwitz ein und vergaß glatt den Gutenmorgengruß. »Sie sin zu früh!«, entgegnete Munkwitz nur, schaute dabei Kalle an und zog eine Taschenuhr aus der Hose. »‘N bissl müssen Se noch warten, nöch?!«, sagte er und knallte uns die Tür vor der Nase zu. Er hatte eine Figurengruppe Meissner Porzellans und ein übergroßes Ölbild im Angebot, umständehalber natürlich und über einen Mittelsmann. Unser Besuch war für 10.30 Uhr geplant. Wir waren gerade mal zehn lumpige Minuten früher an der Wohnungstür, als vorgesehen. Nun stiegen wir wieder in unser Fahrzeug und warteten vorsichtshalber zwanzig Minuten. Kalle sprach kein Wort. Ich versuchte krampfhaft, ein Gespräch in Gang zu setzen – ohne Erfolg! Kalle kam eben aus dem goldenen Westen und ich aus dem proletarischen Osten. Jetzt qualmte er wie ein Schlot. Ich leierte das Fenster herunter, weil die Atmosphäre im Fahrgastraum unerträglich wurde. Dann stellte ich fest, dass Kalle Karo inhalierte, ohne Filter, also den würzigen Rachenreißer sparsamer Leute. Wir bewegten uns erneut zur Wohnungstür Munkwitz ‘s, eben fünf Minuten später als vereinbart. Bevor Flegel Kalle den Türklopfer erneut in die Hand nahm, verstellte ich ihm den Weg und trommelte ganz leise mit dem Knöchel an das gläserne Oberlicht. Da war wieder das Schlurfen von vorhin, jetzt aber schneller. Munkwitz stand wieder vor uns und verurteilte unser Zuspätkommen entschieden. Seine Glatze schimmerte, als hätte er sie auf Hochglanz poliert. Bevor er die Korridortür öffnete, war ich zur Seite gesprungen, um Kalle an die Basis zu lassen. Munkwitz ließ uns bis ins erste Drittel des Flures und nicht ein Stück weiter. »Es is örst frisch gemoppt worden!«, murmelte er und heftete seine Augen an unsere Schuhe, um zu prüfen, ob sie salonfähig seien. Dann bat er uns, stehen zu bleiben, dort, wo wir gerade waren. Ich hielt mich nach wie vor im Hintergrund auf, die Atmosphäre war spannungsgeladen und für mich höchst unangenehm. Ich verspürte einfach, dass uns Munkwitz nicht wollte – er suggerierte es einfach. Kalle war dagegen völlig immun. Mein Blick fiel jetzt durch einen offenen Türspalt in ein Zimmer und auf eine Wand voller alter Miniaturbilder. Mir war klar, dass ich wenigstens vom Inventar her einen Volltreffer gelandet hatte. Munkwitz verfolgte meinen Blick auf die Basis dessen, was er mit aller Macht geheim halten wollte und schmiss diese Tür sofort zu. In der Flurecke stand das Bild, worauf es ihm ankam – es war mit einem Bettlaken zugedeckt. Munkwitz zog es herunter und Kalle plärrte drauflos, um bekannt zu geben, dass dieses so genannte Kunstwerk ein billiger Druck sei. Damit hatten wir verspielt und flogen achtkantig aus der Wohnung.
    Kalles so genannter Druck war ein riesiger Ölschinken aus den dreißiger Jahren, eine gespannte Leinwand in tollem Rahmen. Für eine normale Behausung war dieses Bild auf Grund der Abmessungen wenig geeignet.

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