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Rache - die Handschrift des kleinen Mannes - Erlebnisse eines Leipziger Antiquitaetenhaendlers

Rache - die Handschrift des kleinen Mannes - Erlebnisse eines Leipziger Antiquitaetenhaendlers

Titel: Rache - die Handschrift des kleinen Mannes - Erlebnisse eines Leipziger Antiquitaetenhaendlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Schmidt
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reichliche Woche auf sich allein gestellt, allerdings mit dreißig Riesen im Rockaufschlag. Jetzt düste er durch die Gegend und war ortsunkundig wie ein neugeborenes Kalb. Er wäre nie auf die Idee gekommen, die Ankäufe mit mir gemeinsam durchzuführen. Im Moment war ich fast »abgebrannt«, denn auch Mackenrodt hat mich, wenn auch ohne Vorsatz, hängen lassen, wie eine Bogenlampe. Kalle machte die Adresse des Lehrers Schuster in der Leipziger Karl-Heine-Straße ausfindig. Die spitzwegschen Kopien hat er komplett übernommen. Dafür gab mir Schuster eine Vermittlungsprovision von etwa 30 % des Verkaufspreises. Das hatte ich nie und nimmer erwartete. Kalle setzte nämlich aus seiner Unkenntnis heraus den Ankaufspreis für diese Kopien wider Erwarten hoch an. Boshafterweise glaubte ich nun symbolisch gesehen an seinen »Genickbrecher«, denn mein Rivale hatte sich mit diesem Ankauf total verausgabt, noch dazu mit dem Zaster Mackenrodt’s. Des Weiteren übernahm er eine Kommode von 1890 zum Niedrigpreis, der das Kraut nicht fett machte. Kalle ergatterte noch einige alte Bierkrüge und eine Kuckucksuhr. Er ließ zum Schluss einen schauerlichen Schlafzimmerschrank von 1915 wegen angeblicher Geldknappheit stehen. »Taktisch klug!«, dachte ich und ärgerte mich, weil ich mich nicht rechtzeitig um die Bierkrüge bewarb. Dafür reservierte mir Lehrer Schuster diverse Einzelteile Meissen und einen alten Walzenkrug.
    Laut Bericht Kalles, hatte er bei Lehrer Schuster »wahnsinnig« zugeschlagen. »Naja, jetze mit die DM kannste die Ossis schön üwan Nuckel ziehen!«, gab Kalle zu meinem Ärger von sich. Am Nachmittag fuhr er durch die Arthur-Hoffmannstraße und kollidierte seitlich mit einer Straßenbahn. Schuld war die kritische Stelle in Höhe der Alfred-Kästner-Straße, an der eben ein PKW bzw. Kleintransporter zwischen Bahngleis und Trottoire keinen Platz hat. Kalle ist auf den Gehweg gekracht und hat Gott sei Dank nur einen Papierkorb vernichtet. Der Lieferwagen hatte linksseitig die Form eines Waschbrettes angenommen. Die Polente und ein Dispatcher der Leipziger Verkehrsbetriebe waren zugegen und haben den Schaden an der Straßenbahn aufgenommen. Der Lieferwagen war lediglich noch fahrtüchtig für den Weg zum Autofriedhof. Weil die Tür auf der Fahrerseite funktionsuntüchtig war, konnte der Einstieg ins Wageninnere nur noch über die Beifahrerseite oder von hinten durch die Hecktür erfolgen. Kalle hat bei der Polizei Gegenanzeige erstattet, weil er der Meinung war, der Vollidiot von Straßenbahnfahrer vergaß, in den Rückspiegel zu sehen. Die Polizei hat gefragt, ob sie diese Beleidigung protokollieren solle und sofort eine Alkoholkontrolle durchgeführt.

    Am nächsten Morgen meldete sich Kalle bei mir und bat mich um die Vermittlung von Ankaufsadressen. Dass mich Kalle überhaupt um etwas bat, war neu. Zurzeit existierten keine weiteren »Ansprechpartner«, zumindest nicht auf dem Papier. Um sie zu finden, war es notwendig, von Haus zu Haus zu pilgern um in mühevoller Mundpropaganda zu akquirieren. Kalle hat mich angegafft, als sei ich verrückt geworden, aber die Methode des »Hausierens« verschaffte unserer Firma eben Kunden. Am Anfang der neunziger Jahre standen die Türen in den Altstadtstraßen Leipzigs offen. Diese Tatsache vereinfachte natürlich die Kontaktaufnahme mit der Bevölkerung. Später wurden die Häuser mit Sprechfunkanlagen ausgerüstet. Das wiederum hatte den Vorteile, dass sich die Leute weniger bedrängt fühlten. Ich kramte aus meiner Westentasche eine Adresse, die sich in der Plagwitzer Nonnenstraße befand und stand damit wieder in Siegerpose. Besagte Adresse war ein unsaniertes Gründerzeitareal mit älterem, freundlichen Bewohnerstamm. Zum überwiegenden Teil lebten die Leute in altem Mobiliar. Auf Grund geplanter Sanierungen und daraus resultierenden Gebäuderäumungen standen verschiedene Alt-Möbel zum Verkauf. Kalle kraxelte vom Heck ins Wageninnere. Er fuhr selbst, weil ich mich auf biegen und brechen wehrte, mit diesem demolierten Fahrzeug durch die Stadt zu kutschieren. Kalle hat mich natürlich nicht verstanden und gemeint, Ossis seien ohnehin nicht arbeitswillig und gelinde gesagt faul. Das wiederum hätte eben an der Planwirtschaft der Ostzone gelegen und daran, dass in niemandem der Trieb zur Selbsterhaltung stecken musste. Also: die Faulheit der Ossis sei in gewissem Sinn entschuldbar. Jetzt war ich endgültig sauer. Ich ließ mir diesen Zustand nicht anmerken und

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