Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)
Handynummer da. Ich möchte mich erkundigen können, wie es Ihnen geht.«
Irgendwas an diesem Bild ist falsch, dachte sie, während sie die Nummer auf den Deckel einer Straßenkarte kritzelte. Als sie an ihrem Auto waren, griff er auf die Rückbank und gab ihr eine Thermoskanne.
»Kaffee«, sagte er. »Fahren Sie anderthalb Stunden, dann halten Sie an und trinken ihn, dann fahren Sie weiter.«
Die Präzision seiner Anweisungen war seltsam tröstlich.
Sie stieg in ihr Auto. Der Motor sprang sofort an. Hadda nahm die Decken von der Kühlerhaube und warf sie in den Land Rover.
Sie wendete das Auto, sah durch das offene Fenster zu ihm hoch und sagte: »Danke.«
»Gern geschehen«, sagte er. »Viel Glück, Elfe.«
Er beugte sich durchs Fenster, und seine Lippen streiften ihre Wange.
Es war, so wurde ihr klar, der erste körperliche Kontakt, den sie je gehabt hatten. Wie war das für sie? War es bedeutsam? Wenn ja, in welcher Weise?
Irgendwann würde sie diese Fragen vielleicht durchleuchten, aber ganz sicher nicht jetzt.
Jetzt konnte sie nur an ihren Vater denken, diesen massigen Bär von einem Mann, dessen braunschwarze Haut vor Energie förmlich pulsierte und der jetzt hilflos in seinem eigenen Krankenhaus lag.
Sie schaltete die Scheinwerfer ein und jagte ihren Wagen die schmale Landstraße hinunter.
BUCH DREI
Vereinigungen und Wiedervereinigungen
Weihnachten stand vor der Tür in all seiner biederen und herzlichen Ehrbarkeit. Weihnachten war die Zeit der Gastfreundschaft, des Frohsinns und der Offenherzigkeit. … Wie viele Familien, deren Mitglieder durch die rastlosen Mühen des Lebens in alle Winde zerstreut wurden, vereinigen sich um diese Zeit wieder in jenem glücklichen Zustand der Zusammengehörigkeit und des gegenseitigen guten Willens, der eine Quelle so reiner und ungetrübter Freude ist … Wie viele alte Erinnerungen und wie viele schlummernde Sympathien erweckt doch die weihnachtliche Zeit! … Glückliche, glückliche Weihnachtszeit, die uns zu den Traumbildern unserer Kindertage zurückgeleiten … kann!
Charles Dickens: Die Pickwickier
1
Wie die meisten Menschen bildete sich Ex-Detective Inspector Medler ein, dass er Weihnachten früher mal genossen hatte.
In seinem Fall war der Genuss sicherlich kurz und infantil gewesen, denn jenes Miasma aus Desillusionierung, Enttäuschung, Zynismus und Skepsis, das gemeinhin als Reife bezeichnet wird, senkte sich früh auf den jungen Arnie.
So befand er mit gerade mal sechs Jahren, dass ein Jahr Ganztagsschule mehr als genug war, um die kulturellen, spirituellen und intellektuellen Bedürfnisse eines heranwachsenden Jungen abzudecken, und er beschloss, mit sofortiger Wirkung bei der anglikanischen Grundschule von Wapping seinen Abschied einzureichen.
Die Erste, der er seinen Entschluss mitteilte, war seine Granny, Queenie Medler, die für Arnie eine gütige alte Dame voller Weisheit und Verständnis war und für ihre vielen Verehrer auf der anderen Seite der Theke des China Clipper in Wapping eine patente Frau, mit der man Pferde stehlen konnte.
Queenie empfahl ihm, eine Nacht darüber zu schlafen. Prompt bekam er einen kindlichen Wutanfall, weil er die Aussicht auf weitere zehn Jahre Schule einfach unerträglich fand und sich mit jeder Faser seines Herzens wünschte, er wäre schon erwachsen und so reich, dass er den lieben langen Tag im Bett bleiben könnte, wenn er dazu Lust hätte, verdammt noch mal, und sich von niemandem mehr was sagen lassen müsste.
Queenie hatte leise gelacht, während sie ihm gleichzeitig eine sanfte Ohrfeige gab und ihn ermahnte, er solle nicht fluchen und außerdem vorsichtig mit seinen Wünschen sein, weil die Götter sich einen Spaß daraus machen könnten, die Wünsche wahr werden zu lassen.
Tja, genau das hatten sie getan, und jetzt, vierzig Jahre später, dachte er düster, dass die Mistkerle wahrscheinlich wirklich ihren Spaß an ihm hatten.
Vorzeitiger Ruhestand, sonniges Klima und eine Pension, die ausreichte, um ihm bis ans Ende seiner Tage ein behagliches Leben zu ermöglichen – mehr hatte er nicht gewollt. Das war die erwachsene Version seines Kindheitstraums. Und genau das hatte er bekommen.
Aber er hatte auch die Langeweile bekommen. Und eine Gattin, die nicht einsah, warum sie, nur weil sie nicht mit einem Fußballstar verheiratet war, das Geld nicht wie die Frau eines solchen ausgeben sollte. Obendrein wurde er in den gesellschaftlichen Kreisen seiner ausgewanderten Landsleute von den Ganoven
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