Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)
lackierten Fingernägel zu beschädigen, würde nicht im Traum einfallen, welche zu tragen. Sie hatte nicht mal gewusst, dass Arnie ein Paar Handschuhe besaß …
Und wieso hatte er sie so ordentlich hingelegt, direkt an die Metalljalousie …?
Schließlich gab ihr Verstand den Versuch auf, unter diesem Wirrwarr aus irrelevanten Gedanken die Wahrheit dessen zu verbergen, was die Augen ihr sagten.
Das waren keine Handschuhe.
Das waren Hände.
Abgetrennt von den Armen, die vermutlich auf der anderen Seite der Jalousie lagen.
Sie erkannte den Siegelring an einem Finger und sank auf die Knie, nicht, weil sie genauer hinsehen wollte, sondern weil ihre Beine den Dienst versagten.
Sie hatte gedacht, sie hätte alles, was rauszuwürgen war, auf der Rückbank des Taxis gelassen, aber jetzt merkte sie, dass sie sich getäuscht hatte.
Und als sie fertig mit Würgen war, hob sie das Gesicht zu den weihnachtlichen Sternen und schrie los.
2
Nach der Frühmette am Weihnachtsmorgen wollten die meisten Gemeindemitglieder von St Swithin’s möglichst schnell nach Hause, um mit ihren säkularen Feierlichkeiten zu beginnen. Über ganz Mireton hing der appetitliche Duft von Truthahnbraten, und genau wie alle anderen freute sich auch Luke Hollins darauf, seine Haustür hinter sich zu schließen und die Beine unter dem eigenen reich gedeckten Tisch auszustrecken.
Es war sein erstes Weihnachten in der Gemeinde und zufällig war es auch das erste, das er und Willa allein verbringen würden. Normalerweise kamen ihre Eltern zu Besuch und manchmal seine Schwester mit ihrer Familie. Aber in letzterem Fall hatte frischer Nachwuchs und in ersterem die Abneigung vor der langen Fahrt von Devon herauf zu ihnen dafür gesorgt, dass sie sich diesmal nur um sich selbst zu kümmern hatten. Und natürlich um jedes Mitglied seiner Herde, dem es gefiel, die eigenen Bedürfnisse für wichtiger zu halten als die des Vikars.
Während er an der Kirchentür noch ein paar Worte mit den letzten Gottesdienstbesuchern wechselte, sah er, dass die Gesellschaft vom Schloss noch auf den Friedhof gegangen war, zum Familiengrab der Ulphingstones. Es war die mit Abstand monumentalste Grabstätte hier und erinnerte Hollins’ demokratisches Auge an jene Hochbunker, die noch immer an manchen Abschnitten der britischen Meeresküste standen und aus denen die alterstrüben Augen der Bürgerwehr gespäht hatten, stets ängstlich damit rechnend, ganze Kohorten von Nazi-Sturmtruppen im Stechschritt aus den Wellen auftauchen zu sehen.
Das Grab war von seinen plebejischen Nachbarn durch einen Metallzaun getrennt, mit Pfosten in Form von Zulu-Wurfspeeren und mit gusseisernen Schnörkeln im keltischen Knotenmuster. Mit Ausnahme der Speerspitzen, denen man einen auffälligen Goldanstrich verpasst hatte, war das Ganze schwarz lackiert. Ob der Zaun die Lebenden draußen oder die Toten drinnen halten sollte, wusste Hollins nicht. Aber er wusste, dass er ihn für eine Beleidigung des guten Geschmacks und der demokratischen Prinzipien hielt.
Der lapidaren Inschrift nach war der jüngste Zugang zur Grabstätte »Virginia, geliebte Tochter von Imogen und Enkelin von Sir Leon und Lady Kira Ulphingstone« gewesen.
Hollins dachte, was Wolf Hadda wohl empfunden haben musste, als er mitten in der Nacht hierhergekommen war, um seinen Ebereschenzweig vor das Grab zu legen, und gesehen hatte, dass sein Name fehlte.
Hollins war erst nach dem Tod des Mädchens nach Mireton gekommen. Einmal hatte er beim Lunch im Schloss versucht, das Gespräch darauf zu bringen, aber lediglich erreicht, dass Lady Kira ihn einfach völlig ausblendete und Sir Leon das Gesicht zu einer schmerzerfüllten Maske verzog, woraufhin Hollins schnell irgendetwas über die Finanzierung der Kirchturmsanierung sagte, nur um ein anderes Thema anzuschneiden.
Die Schlossgesellschaft lauschte einem Vortrag Lady Kiras, die ihre Familienpflichten sehr ernst nahm und von ihren Gästen dasselbe erwartete. In diesem Fall standen sechs Gäste hinter den älteren Ulphingstones. Eine recht kleine Schar für Lady Kiras Verhältnisse, falls das alle waren, was vermutlich der Fall war, da man nicht im Schloss wohnte, ohne zum morgendlichen Gottesdienst zu erscheinen. Hollins war, kurz nachdem er seine Stelle angetreten hatte, aufgefallen, dass der Küster erst dann anfing, die Glocke zu läuten, wenn die Schlossgesellschaft in Sicht kam, selbst wenn sich dadurch alles um vier oder fünf Minuten verzögerte.
Am Ende des
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