Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)

Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)

Titel: Rache verjährt nicht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
Vom Netzwerk:
einen Mann. Ein Date, ein Rendezvous, vielleicht sogar eine Affäre!
    Sie umarmte ihre Mutter und sagte: »Super. Bestell Dad schöne Grüße. Ich bin heute Abend wieder da. Warte nicht mit dem Essen auf mich.«
    Als sie vom Haus abfuhr, hatte sie einen Anflug von schlechtem Gewissen, weil sie sich so befreit fühlte. Als Studentin hatte sie enttäuscht erkennen müssen, dass das Wissen um die oftmals irrationalen Ursprünge ganz normaler Gefühle uns nicht davon abhält, sie zu empfinden. Als sie das ihrem Vater beichtete, brach er in dröhnendes Gelächter aus und sagte: »Sogar Zahnärzte kriegen Zahnschmerzen!«
    Und sogar Kardiologen kriegen Herzinfarkte, dachte sie.
    Sie schob ihr schlechtes Gewissen beiseite und konzentrierte sich aufs Fahren, als sie vom Zubringer auf die Autobahn wechselte.
    Bald wurde ihr klar, dass sie den Verkehr falsch eingeschätzt hatte, denn offenbar waren viele Leute demselben Irrtum erlegen. Aus den zwei Stunden, die sie für die Strecke kalkuliert hatte, wurden bald drei, die ihr Anlass und Zeit gaben, sich zu fragen, warum genau sie diese Fahrt eigentlich auf sich nahm.
    Bemüht um absolute Ehrlichkeit, wie sie sie bei ihren Therapien anstrebte, ging sie systematisch alle ihre Motivationsquellen durch.
    Erstens die berufliche: Sorge um einen Patienten; Sorge um die Menschen in seiner Umgebung; Luke Hollins’ Bitte um Hilfe; Imogen Estovers Wunsch, mit ihr zu reden.
    Dann die persönliche: ihre Angst, sich getäuscht zu haben; ihr Ärger, weil sie das Gefühl hatte, dass Hadda sie verunsicherte; ihre Frustration angesichts von Geheimnissen, die sie noch nicht hatte enträtseln können; ihr simples Bedürfnis, mal einen Tag nicht mit ihrer Mutter und ohne einen Besuch im Krankenhaus zu verbringen!
    Das war alles. Ehrlicher kann ich nicht sein, sagte sie sich.
    Nur dass absolute Ehrlichkeit, wie ihr Collegeprofessor gerne sagte, vergleichbar ist mit dem Ausmisten eines Kellers. Wenn man den ganzen Kram dann hinters Haus geschafft hat, sollte man keine Zeit damit verschwenden, sich für die getane Arbeit auf die Schulter zu klopfen. Nein, man sollte gleich wieder nach unten gehen und anfangen, den Betonboden aufzugraben.
    Sie grub. Sie wusste längst, dass sie etwas finden würde. Etwas, das sie so gründlich verdrängt hatte, dass sie nicht genau sagen konnte, ob es bloß pure Einbildung war, wie das Krokodil unter der Couch, wegen dem sie als Kind immer nur mit hochgezogenen Beinen gesessen hatte, wie die Trolle aus Elviras schwedischen Märchen, die unter dem Steingarten vor dem Haus lebten. Irreale Dinge, aber ihre Angst war real, bis sie herausfand, dass sie sie ganz einfach loswerden konnte, indem sie die Dinge ans Tageslicht holte und zusah, wie sie zusammenschrumpften und verschwanden.
    Genau das versuchte sie jetzt auch. Sie brauchte nicht lange, um es zu finden, nicht, weil es gleich unter der Oberfläche lag, sondern weil sie wusste, wo sie anfangen musste zu graben. Und da war es, versteckt unter dem ganzen Zeug, das mit diesem Lächeln zu tun hatte, das sein Gesicht so verwandelte, mit dem gefährlichen Charme, von dem sie sich selbstgefällig eingeredet hatte, ihn genau durchschaut zu haben.
    Sie sprach es laut aus, um sich keinen Spielraum für Ausflüchte zu lassen.
    »Tief verdrängter Grund für die Fahrt nach Birkstane: Ich fühle mich sexuell zu Wolf Hadda hingezogen.«
    Jetzt konnte sie es testen, indem sie es dem hellen Tageslicht aussetzte.
    Aber es schrumpfte nicht zusammen.
    Verdammt! Aber kein Grund zur Panik. So etwas kam vor. Natürlich meistens in umgekehrter Richtung. Und es kam ihr in jeder Hinsicht besonders pervers vor, dass ihr Verlangen sich ausgerechnet auf einen Mann richtete, der körperlich mit Narben bedeckt, psychologisch beschädigt und moralisch abstoßend war. Aber wenn es keine perversen Menschen gäbe, hätte sie keine Arbeit mehr.
    Sie würde damit umgehen, genau wie Simon Homewood mit seinen Gefühlen für sie umging.
    Ihre Selbstanalyse hatte die Zeit schnell verstreichen lassen. Ein Schild verriet ihr, dass sie in Cumbria angekommen war.
    Sie wusste nicht genau, was hier vor so vielen Jahren seinen Anfang genommen hatte, aber auf die eine oder andere Art bewegen wir uns alle im Kreis. Wir kommen nie irgendwo an, wo wir nicht schon mal waren.
    Wo war Hadda jetzt?, fragte sie sich.
    Und welches Ziel hatte er vor Augen?
    Sie setzte den Blinker und fuhr von der Autobahn ab.

5
    McLucky hatte sich verspätet.
    »Scheißzüge«, sagte er.

Weitere Kostenlose Bücher