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Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)

Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)

Titel: Rache verjährt nicht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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dazu, wie Sie ihn sicher in Erinnerung haben, bewegt er sich sehr langsam. Und sein Gesicht ist voller Narben …«
    Sir Leon schüttelte den Kopf.
    »Der arme Junge, der arme Junge«, sagte er. »Aber in ihm drin, sein Geisteszustand, meine ich, wie sieht’s damit aus? Er war so voller Leben und voller Schwung.«
    »Ich denke, alles in allem kann man durchaus sagen, dass es ihm einigermaßen gut geht«, sagte Alva.
    Sie war verwirrt. Sie hätte nicht gedacht, dass sie so ein Gespräch mit dem Vater einer Frau führen würde, deren Ehe mit einem unerwünschten Mann noch katastrophaler geendet hatte, als abzusehen war.
    »Schön, schön, das hör ich gern. Ist schon seltsam, was das Leben mit einem anstellt. Aber das wissen Sie bei Ihrem Beruf wohl am besten, meine Liebe. So viele Jahre eingesperrt zu sein. Ich glaub, ich hätte das nicht ausgehalten.«
    Er wandte sich zum Fenster, als wollte er seine Emotionen verbergen. Alva trat vor und stellte sich neben ihn.
    »Sir Leon, möchten Sie, dass ich Wolf etwas von Ihnen ausrichte?«
    »Sagen Sie ihm nur, dass ich mich nach ihm erkundigt habe.«
    »Gern. Aber wenn ich das sagen darf, es erstaunt mich ein wenig. Ich meine, soweit ich weiß, waren Sie doch absolut gegen diese Ehe, oder? Sie haben alles getan, um sie zu verhindern.«
    »Ich dachte, das hätte ich. Aber es war nicht genug. Ich hätte mich noch mehr ins Zeug legen sollen.«
    »Und wie sich herausstellte, hatten Sie recht, und es ist Ihrer Tochter sogar noch schlechter ergangen, als Sie hätten absehen können, warum also –«
    »Nein, nein«, unterbrach er sie. »Sie sehen das ganz falsch. Ich wollte die Heirat nicht um Imos willen verhindern. Die konnte schon immer bestens auf sich selbst aufpassen. Ich hab mir Sorgen um den armen Wolf gemacht!«
    Jetzt war sie vollends perplex.
    »Aber warum …?«
    »Weil der Apfel nicht weit vom Stamm fällt. Ich liebe meine Tochter, Ms Ozigbo, aber Vaterliebe macht nicht blind. Fred Hadda war ein anständiger Mann, ein zuverlässiger Arbeiter und ein guter Freund. Ich hatte gesehen, wie er litt, als der Junge jahrelang verschwunden war. Und der Grund dafür waren Wolfs Gefühle für Imogen. Als er zurückkam und ich merkte, dass alles wieder von vorne anfing, konnte ich doch nicht tatenlos zusehen, wie Freds Junge sich selbst zerstörte. Aber letztendlich … Nun, geschehen ist geschehen. Sie sollten lieber gehen, ehe uns noch jemand bemerkt.«
    Er fühlt sich in seinem eigenen Haus unter Beobachtung, dachte Alva. Ihr war noch immer nicht ganz klar, worin die Haltung des alten Mannes begründet lag. Da die Zeit drängte und er ohnehin nicht der Richtige für feinsinnige psychologische Fragestellungen war, entschied sie sich für den direkten Kurs.
    Sie sagte: »Sir Leon, ich verstehe Sie noch immer nicht so ganz. Hatten Sie das Gefühl, die beiden würden aus gesellschaftlichen Gründen nicht zusammenpassen? Dass Wolf sich fehl am Platze fühlen würde, nachdem er von einer Schicht in die andere verpflanzt worden war?«
    Wie sie aus eigener Erfahrung wusste, spielte selbst im England des einundzwanzigsten Jahrhunderts Standesbewusstsein eine große Rolle. Für Frankreich mochte gelten: cherchez la femme , in England hieß es normalerweise: cherchez la classe!
    »Was? Nein, natürlich nicht«, antwortete er leicht entrüstet. »Das war früher mal so, dass man ewig den anderen hinterherhechelte, wenn man nicht die richtige Schule besucht hatte. Vielleicht ist das teilweise immer noch so, aber ein Junge wie Wolf, der hätte die meisten anderen im Handumdrehen eingeholt und abgehängt. Eigentlich hat er doch genau das gemacht, finden Sie nicht? Nein, das war etwas Persönliches. Imogen war nicht die Richtige für ihn. Es war klar, dass er auf jeden Fall verletzt werden würde.«
    »Und Imogen?«
    »Imo? Ich liebe meine Tochter, Ms Ozigbo. Aber wissen Sie, was seltsam ist? Ich hab sie in vierzig Jahren nicht ein einziges Mal weinen sehen. Nicht mal als Baby. Wirklich seltsam.«
    Wenn das stimmte, war das allerdings höchst bemerkenswert. Obwohl es auch bloß eine physiologische Besonderheit sein könnte.
    Sie fragte: »Und haben Sie Wolf von Ihren Bedenken erzählt?«
    »Das wäre sinnlos gewesen. Er hätte sowieso nicht auf mich gehört. Wenn das Blut in den Adern eines jungen Mannes brodelt, verliert er als Erstes den Gehörsinn, hab ich recht?«
    Er wandte sich vom Fenster ab, und zum ersten Mal sah Alva die Fotos in den Silberrahmen. Lady Kira kam öfter vor. Sie

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